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Die Geschichte geht weiter

Gedanken zum Vierten Todestag von Martina

Warum schreibe ich diese Zeilen auf einer Homepage, die von Allen gelesen werden kann? Sind die Gedanken nicht zu persönlich? 

Ich hatte erkannt, dass meine Erfahrungen für andere eine Hilfe sind, um gut durch die Stürme des Lebens zu kommen. Die meisten Menschen lesen meine Texte und verstehen mich nicht. Aber manche sind froh, dass sie meine Texte gefunden haben. Für diese Menschen schreibe ich. 

Insofern habe ich nicht die freie Wahl, ob ich schreiben will. Im Innersten bin ich überzeugt, dass ich schreiben muss. [1 Kor 9, 16]

Nicht jede Erfahrung passt zu jedem Leben.

Prüft alles, behaltet das, was für Euch gut ist. [1 Thess 5,21]

Wir sollten uns gegenseitig ermutigen, von dem zu erzählen, was im eigenen Leben trägt. Vielleicht ist unsere Zeit deshalb so blind für die Spuren Gottes, weil die Gottsucher nicht von dem erzählen, was sie auf ihrem Weg über Gott erfahren haben.

Vielleicht möchten so viele nichts von Gott hören, weil die Gottsucher ihre Erfahrung absolut setzen.

Doch es lohnt sich, zuzuhören, besonders dort, wo Gottsucher ohnmächtig sind und trotzdem nicht den Mut verlieren. [2 Kor 12,9]

Gerade in den Brüchen und in der Ohnmacht unseres Lebens gibt es viel zu entdecken. Viele Gottsucher entdeckten gerade im Verlust von geliebten Menschen und Sicherheiten eine Kraft, die über Zeit und Raum hinausführt. 


Manche Texte von mir wirken abenteuerlich, brüchig, fremd und unverständlich, aber gerade in diesen Texten spiegelt sich eine Erfahrung von Sinn, die nach Worten sucht. 

Manchmal bin ich nicht in der Lage, meine Erfahrungen so zu beschreiben, dass sie verstanden werden. Manchmal sind andere blind und taub, weil ihr Weg einfach ganz anders ist und eine Brücke viel Zeit braucht. [Jes 6,9]

Gemeinsam mit anderen Menschen in Leipzig, Dresden und Magdeburg will ich in den kommenden Jahren lernen, von spirituellen Erfahrungen am Rande des Alltags so zu sprechen, dass andere dadurch gestärkt werden. Vielen Dank allen, die mit mir auf dem Weg sind! Vielen Dank meinem Bistum Dresden-Meißen, dem ich als Hörender besonders verbunden bin. 

Im Frühjahr 2023 wurde mir überraschend in der Regensburger Fußgängerzone schwarz vor Augen. Die Niere meiner Mutter hatte nicht mehr die Kraft, das Blut zu reinigen. Es dauerte noch etwas, bis ich die logische Konsequenz zog. Erst am 22. Mai 2023 startete ich mit der Dialyse. 20 Jahre hatte ich ohne Nierenwäsche gelebt. In dieser Zeit hatte ich mit Martina in Leipzig eine Wohnung saniert und zwei Söhne adoptiert. In dieser Zeit erlebten wir große Freude, tiefen Schmerz und Verzweiflung. In dieser Zeit waren wir durch Europa gereist. In dieser Zeit mussten wir hilflos zuschauen, wie ein Jugendlicher in sein eigenes Unglück ging. Wir mussten loslassen, um andere zu schützen. Doch aus unserer Liebe haben wir ihn nie entlassen. 

Martina starb am 7. Januar 2020. Der Weg der Jahre danach war von meiner Überzeugung geprägt, dass das Leben stärker ist als der Tod. 

Martina hatte gewagt, einen gemeinsamen Weg zu gehen, obwohl ich chronisch krank war. Nun gehe ich den Weg weiter, ohne Martina aus meinem Herzen zu verdrängen. 

Ich gehe diesen Weg mit Martina im Herzen und mit vielen Menschen an meiner Seite. 

Dieser öffentliche Brief soll nur andeuten, wie dankbar ich für alle Zeichen neuer Freundschaft und Liebe bin, die ich auf der neuen Zeitreise gefunden habe. Bereits in den letzten Tagen von Martina wurde ich begleitet. Danke Christiane. Ich hätte es allein nicht so geschafft. Das Landgericht Leipzig unterstützte mich mit den nötigen Formularen. Astrid von der Caritas half in der Wohnung, erste Schritte ohne Martina zu gehen. Nargiza aus Kirgistan feierte mit uns das erste Weihnachten ohne Martina. Es war gut, dass Du da warst. Carina begleitete Felix in den Harz. Madlen kam mit uns in den Sommerferien. Danke für das Vertrauen!


Ich danke besonders Tatjana, die ihre Heimat verlassen musste und nun mit ihrer Tochter, mit ihrer Mutter sowie mit Felix und mir den Alltag gestaltet. Es ist nicht leicht, neu anzufangen nach dem Bruch der eigenen Geschichte. 

Ich danke allen Verwandten und Freunden, die mich bis heute begleitet haben. Ich danke den Forschern, Ärzten, Medizinern, Schwestern, Ärzten, Technikern, Jugendamt, Gruppen und Organisationen, Verkäufern an den Kassen, Bedienungen, Busfahrern, allen, die mich wissend oder unwissentlich begleiteten. Ich wurde reich beschenkt. Warum sollte ich also nicht andere reich beschenken?

Kurz vor dem vierten Todestag bin ich mit meiner ukrainischen Familie in Wernigerode. Der Herrnhuter Stern prägt das Bild der Straßen. Dieser Stern strahlte auch auf der Intensivstation vor dem Sterbezimmer von Martina. 

Der Stern, der Geburt und Anfang symbolisiert, direkt vor dem Raum, in dem ein Leben endet. 

Das passt zu einer Weihnachtsgeschichte, in der ein König gesucht wird, dessen Leben nicht am Thron endet, sondern am Kreuz.  

Vielleicht werde ich nie wieder den Stern sehen können ohne an Martina zu denken. Dinge verändern ihre Bedeutung, wenn eigene Erfahrungen daran geknüpft sind.


Warum eigentlich feiern wir Weihnachten? Nach menschlichem Maßstab ist Jesus gescheitert. Statt Israel zu befreien, wie man das von einem König und Messias erwarten könnte, ist er schmachvoll am Kreuz gestorben. 

Warum wurde diese dramatische Geschichte nicht einfach verdrängt? 

Die Freunde des Wanderpredigers fanden in seinen Worten und in seinen Taten eine Kraft, die über den Tod hinaus lebendig geblieben ist. 

Deinen Tod, o Herr, verkünden wir. 

Deine Auferstehung preisen wir.

Jede Situation ist für einen möglichen Sinn offen. Auch dann, wenn diese Situation aussichtslos scheint. Diese Überzeugung geht auf Viktor Frankl zurück, der mehrere Konzentrationslager überlebte. Er schrieb über seine Erfahrungen 1946 das Buch "Trotzdem Ja zum Leben sagen". 

In der Leipziger Michaeliskirche begann 2003 eine Geschichte, an der viele Menschen beteiligt waren. Nach katholischem Verständnis wird das Sakrament der Ehe nicht gespendet, um zwei Menschen zu verbinden, sondern um eine Geschichte zu beginnen, die über die eigene Existenz hinaus Bedeutung hat. Regulär denkt die katholische Kirche an ein Paar, das leibliche Kinder kriegen kann. Wir waren insofern kein reguläres Paar. Wir adoptierten. Nicht jeder verstand, warum wir das taten. Besonders, als diese Geschichte eine dramatische Wendung nahm. Diese Geschichte ist nicht zu Ende. Sie ging nach 2020 weiter. 

Martina und ich hätten den Weg ohne die vielen Menschen, die uns begleiteten nicht durchgehalten. 

Ich hätte die vergangenen vier Jahre nicht neu gestalten können ohne die Freundschaft und Liebe vieler Wegbegleiter. 

Ich bin in meinem Leben reich beschenkt worden und beschenke gerne andere. 


In den letzten Jahren konnte ich Dank der finanziellen Unterstützung von vielen dort in Leipzig helfen, wo Menschen Hilfe brauchen. Ich unterstützte Kinder und Jugendliche am Weg ins Leben, Studenten erhielten Startkapital, um ihre Träume umzusetzen. Alleinerziehende Mütter werden dabei unterstützt, eine eigene Existenz aufzubauen. Geflüchtete bekamen die Chance auf einen Neustart. Grundstock meiner Hilfe war Geld, das meine Frau Martina gespart hatte. In Erinnerung an sie will ich weiter konkret in Leipzig helfen. 

 Ich bedanke  mich bei allen, die mir die schöne Aufgabe ermöglichen, andere auf ihrem Weg zu begleiten. Zu aktuellen Projekten informiere ich gerne persönlich. 


Vielen Dank!

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