An der Kreuzung zwischen Ohnmacht und Macht

Woran erkennt man eigentlich eine christliche Haltung? Am Kreuz? Klar, das Kreuz ist das Zentralsymbol des Christentums. Jesus starb am Kreuz, ohne Macht, leidend - übrigens gerade nicht am Tempelberg, sondern vor den Mauern der Stadt. Er unterwarf sich einer ungerechten menschlichen Rechtssprechung, die verurteilte, was sie nicht verstand. Das Kreuz war das Instrument der Unterdrücker. Die ultimative Demütigung und Unterwerfung der Gegner des Römischen Reiches.

Und die Christen sagen nun, Gott ist gerade da sichtbar geworden.

Handelt so Gott? Kann man im Leidenden am Kreuz Gott erkennen? Nicht nur Judas hätte diese Unterwerfung Jesu gerne verhindert. Auch Petrus konnte diesem Weg nicht folgen. Er leugnete, Jesus zu kennen.  Auch die anderen Jünger Jesu rennen weg - na gut, außer dem etwas weltfremden Lieblingsjünger. Der hat auch nicht Jesus zwei Schwerter angeboten. 

Nach islamischen Verständnis kann die Geschichte Gottes nicht ohnmächtig am Kreuz enden. Und wir? Glauben wir wirklich, dass der eigentliche Frieden in die Welt dadurch kommt, dass man auf Macht verzichtet?

Die obersten Repräsentanten der katholischen und evangelischen Kirche betraten dem Tempelberg ohne Kreuz um den Hals. Was ist die Botschaft? Eine Unterwerfung unter den Islam, wie manche meinen? Oder tappt man gerade mit dieser Frage in die Falle von Gewalt und Gegengewalt? Nun gut, vielleicht waren die Vertreter der Christen aus Deutschland etwas voreilig. Immerhin war Papst Franziskus zuvor problemlos auf den Berg gekommen - mit Kreuz. 

Trotzdem: Was sendet das Ablegen des Kreuzes als Botschaft aus? Würden Muslime auf ihre Hoheitszeichen verzichten?

Die Frage ist aus meiner Sicht  falsch gestellt. Die christliche Botschaft vom Kreuz ist aus Sicht anderer Religionen immer blanker Unsinn. Wir senden also immer ein Zeichen aus, dass quer zu dem steht, was andere für richtig halten.

Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden ist's eine Gotteskraft. (1 Kor 1,18)

Im Zentrum unseres Glaubens steht Jesus. Sein Tod am Kreuz haben wir nicht automatisch verstanden, weil wir ein Kreuz tragen. Das Kreuz kam im Verlauf der Weltgeschichte oft genug als Machtinstrument ins Spiel:

In hoc signe vince! ... und los geht der blutige Kampf.

Auch bei der Diskussion um das Kreuz in bayerischen Klassenzimmern schien mancher das Kreuz für ein Kulturgut zu halten, das mit aller Macht verteidigt werden muss. 

 

Dabei erzählt der christliche Glaube gerade die Gegengeschichte: Das Heil der Welt beginnt dort, wo wir auf Zeichen der Macht verzichten. Unser Sieg setzt dort an, wo andere denken, sie hätten uns unterworfen. Jesus starb am Kreuz. Die Mächtigen hatten gesiegt - für diesen Augenblick. Was für eine Schande, könnte man meinen.

Diesen Tod verkünden wir. Doch die Auferstehung Jesu haben wir vor Augen. Das ist unsere christliche Haltung zum Kreuz.  "Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferstanden.

Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich." (aus 1 Kor 15). Das ist unsere zentrale Botschaft im Leid dieser Welt: der Tod hat nicht das letzte Wort.

Oft sind wir immer noch auf der Stufe der Suche nach angemessener Vergeltung: Wenn die dort keine Kirche bauen lassen, dürfen die dort hier keine Moschee bauen. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Wenn die dort ihre religiösen Symbole ablegen, dann machen wir das auch.

Warum aber sollten wir unsere Überzeugung vom Handeln anderer abhängig machen? 

Nicht die Dinge beunruhigen uns, sondern die Deutung der Dinge. 

Mit oder ohne Kreuz: am Tempelberg standen Christen, Juden und Muslime gemeinsam.  Das ist die Geschichte, die es lohnt zu erzählen. Weil dies der Ansatz ist, der zum Frieden beiträgt. Wir werden andere nicht daran hindern können, eine andere Geschichte zu erzählen, aber wir müssen die Geschichte nicht teilen. 

Warum lohnt es, diese Deutung hervorzuheben? 

Weil hier der Ansatz eines neuen Verständnisses liegt. Wir werden unsere Konflikte nicht im blutigen Gegeneinander lösen. Wir werden sie auch nicht dadurch lösen, dass wir darauf beharren, Recht zu haben. Papst Franziskus spricht vom dritten Weg der Konfliktlösung: 

"Wenn ein Konflikt entsteht, schauen einige nur zu und gehen ihre Wege, als ob nichts passiert wäre. Andere gehen in einer Weise darauf ein, dass sie zu seinen Gefangenen werden, ihren Horizont einbüßen und auf die Institutionen ihre eigene Konfusion und Unzufriedenheit projizieren. Damit wird die Einheit unmöglich. Es gibt jedoch eine dritte Möglichkeit, und dies ist der beste Weg, dem Konflikt zu begegnen. Es ist die Bereitschaft, den Konflikt zu erleiden, ihn zu lösen und ihn zum Ausgangspunkt eines neuen Prozesses zu machen. » Selig, die Frieden stiften « (Mt 5, 9)." Evangelii Gaudium. 227.

Gerade als Sohn von Eltern, die vertrieben wurden, will ich es betonen: der Schlüssel zum Frieden liegt in der Versöhnung.  Kein billiges Schwamm drüber, aber auch kein Beharren auf dem eigenen Recht. Den einzelnen Menschen sehen, unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht. 

 

Zur Versöhnung reicht es freilich nicht, gemeinsam an einem Ort zu stehen. Es gehört auch dazu, für die eigene Deutung des Handelns zu werben. So machte es Papst Franziskus. Er ist ein Meister der Bilder und der Worte. Unvergessen ist das Bild, wie er gemeinsam mit seinem jüdischen und muslimischen Freund an der Klagemauer stand. Jeder hat seine eigene Überzeugung, aber doch können sie gemeinsam hier stehen. In der Freundschaft zwischen konkreten Menschen, die unterschiedlichen Religionen angehören, liegt der Ausgangspunkt für die gemeinsame Suche nach dem, was der Welt den Frieden bringt. Es ist gut, sich dabei gut zu überlegen, welche Kräfte in den Religionen Unterstützung verdienen. So sind denn auch die päpstlichen Worte zum Islam zu verstehen: 

"Angesichts der Zwischenfälle eines gewalttätigen Fundamentalismus muss die Zuneigung zu den authentischen Anhängern des Islam uns dazu führen, gehässige Verallgemeinerungen zu vermeiden, denn der wahre Islam und eine angemessene Interpretation des Korans stehen jeder Gewalt entgegen." (Evangelii Gaudium 253) 

Ist das naiv? Oder ist das vielleicht doch die angemessene Antwort? Weil den Vertretern des gewalttätigen Fundamentalismus so einfach die Grundlage entzogen wird. Noch einmal: es liegt an uns, welchen Kräften in den Religionen wir Macht und Sendezeit und Möglichkeit, sich zu Wort zu melden, geben. Papst Franziskus hat bei diesem Satz konkrete Menschen vor Augen, mit denen er befreundet ist. Und er hat die Geschichte des christlich-islamischen Dialogs vor Augen, der kein einfaches Feld ist. Die Kunst, Wirklichkeit neu zu deuten, hat ein großes Vorbild: Paulus auf dem Areopag: Apg 17,16 ff. Statt die Götzenbilder dort grimmig zu verurteilen, sucht er nach einen verbindenden Element: dem Altar für den unbekannten Gott! Das ist schlicht genial, weil eben darin der Schlüssel lag, um den liebenden Gott zu verkünden. Die Betonung von Unterschieden hätte dagegen nur Hass erzeugt. 

 

Klare Worte dürfen natürlich trotzdem nicht fehlen. Hier beginnt das Bekenntnis: 

"Leider gibt es in dieser Welt, welche die raffiniertesten Technologien entwickelt hat, noch viele Kinder, die unter unmenschlichen Bedingungen an den Peripherien der großen Städte oder in ländlichen Gebieten am Rande der Gesellschaft leben. Viele Kinder werden noch heute ausgebeutet, misshandelt, versklavt, sind Opfer von Gewalt und gesetzeswidrigem Handel. Zu viele Kinder sind heute aus der Heimat vertrieben und auf der Flucht, manchmal in den Meeren untergegangen, besonders in den Fluten des Mittelmeers. Für all das schämen wir uns heute vor Gott – vor Gott, der ein Kind geworden ist."

Das sagte Franziskus in der Geburtskirche von Bethlehem.

 

Vom Kind her zu denken bedeutet, die Konflikte der Welt aus der Perspektive des Schwächsten zu sehen. Und dann wird deutlich, warum es zwar wichtig ist, Christenverfolgung anzuprangern, aber gleichzeitig zu wenig. Es geht nicht nur darum, den eigenen Glaubensbruder zu schützen, sondern jeden zu schützen, der tatsächlich verfolgt wird. 

"Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden.  Und wenn ihr nur denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Dank erwartet ihr dafür? Das tun auch die Sünder.  Und wenn ihr nur denen etwas leiht, von denen ihr es zurückzubekommen hofft, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder leihen Sündern in der Hoffnung, alles zurückzubekommen. Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!" (Lk 6,32 ff.)

 

Das ist der Stachel des Evangeliums. In der Praxis führt dies zu vielen Fragen. Und für diese Fragen gibt es keine einfache Lösung. Aber trotzdem bleibt das mein Ansatz, über christliches Handeln im Alltag nachzudenken. Ich bin dann mal offline.