Gedanken zu Johannes 1, 35 - 42
Es war die zehnte Stunde, also nach antiker Zählung später Nachmittag, als ich 1992 im Kloster Benediktbeuern eintraf. Es war mein erster Besuch im Kloster der Salesianer Don Boscos. Die Sonne schien. Es war warm. Schwer war das Gepäck, dass ich für einen Aufenthalt von einer Woche mitgenommen hatte. Im Klosterhof plätscherte das Wasser des kleinen Wassergrabens. Vögel zwitscherten. Zu manchem Lebensereignis weiß ich bis heute genau Zeit und Ort.
Es war die zehnte Stunde. Die zwei jungen Männer am Fluß Jordan hörten Johannes zu. Sie waren sozusagen Follower eines der angesagtesten Influenzer des Nahen Ostens. Dieser Johannes war radikal. Er schonte weder sich noch andere. Aber in diesem Moment machte er Werbung für einen anderen. Jesus aus dem Ort Nazareth, Sohn eines Zimmermanns. Er stand am Beginn eines öffentlichen Wirkens, das nur wenige Jahre dauerte und doch durch zwei Jahrtausende nachklingt. Die zwei Männer folgten Jesus. Und Andreas, einer der zwei, informierte noch seinen Bruder: Simon.
Wo wohnst Du? Gerade heute gewinnt diese Frage an Bedeutung. Im Internet können uns Menschen viel erzählen und vortäuschen. Doch der Ort, an dem ein Mensch lebt, erzählt nochmal eine andere Geschichte.
Wo wohnst Du? Wie gestaltest Du Deinen Schlafplatz? Wie sieht Dein Schreibtisch aus? Was sind Deine Hobbys? Woher kommst Du? Mit verschiedenen Fragen versuchen wir uns dem Menschen anzunähern, für den wir uns nicht nur oberflächlich interessieren.
Kommt und seht! Die Erstbegegnung erfolgt unkompliziert. Man lernt einen Menschen kennen, indem man ihn im Alltag begleitet. Und so bleiben die beiden bei Jesus. Wir erfahren an dieser Stelle nichts über den Wohnort. Das Matthäusevangelium lässt vermuten, dass es wohl eher ein vorübergehender Platz war:
Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann. (Mt 8,20)
Es war die zehnte Stunde. Nach dem Abitur war ich nach Benediktbeuern gereist, um meinen weiteren Weg zu planen. Es war eine besondere Woche, in der ich manche Begegnungen hatte. Im leisen Säuseln des Windes spürte ich Gottes Nähe. Wohnte Gott hier? In den Jahren danach kam ich immer wieder hier vorbei. Seltsamerweise war die Erfahrung jeweils sehr unterschiedlich. Manchmal schien der Ort mir fremd, manchmal kam es zu neuen Begegnungen.
Wohin der eigene Weg führt, ist nicht wirklich planbar. Vielleicht ist nur wichtig, wachsam auf den Augenblick zu warten, in dem sich der nächste Schritt plötzlich ganz schlüssig ergibt.