Glaubenswurzel und Kirchenzweifel
Sicher. Es gibt professionellere Bilder von dem Innenraum einer Kirche. Der schiefe Blick aus einer Bank neben einer Säule entstand in der Regensburger Dompfarrkirche Niedermünster. In dieser Bank saß ich als Kind und Jugendlicher mit meinen älteren Geschwistern und meinen Eltern.
Mein Glaube aus Kindheit und Jugend überstand viele Krisen - sowohl biographische als auch kirchliche. Gottes Existenz blieb so selbstverständlich wie meine eigene Existenz. Daran änderte auch nichts meine Lektüre von Büchern, in denen Gottes Existenz bestritten wurde. Ja, ich habe versucht, seine Nicht-Existenz zu denken.
Trotzdem ließen mich die gesellschaftlichen Ereignisse nicht unberührt. Die Stellung der Frau in der Kirche, der Umgang mit Sexualität, das Priesterbild, geistlicher und sexueller Missbrauch beschäftigten und beschäftigen mich. Gleichzeitig weiß ich um das ehrliche Bemühen vieler Menschen in der katholischen Kirche, in der christlichen Ökumene und in den Religionen, Gottes Nähe glaubhaft spürbar zu machen. Und dann gab es Atheisten, die mehr von Gott verstanden hatten als jene, die sich als gläubig bezeichneten.
Eine religiöse Familie und die römisch-katholische Kirche sind der geistige Ort, von dem aus ich diese Welt und die Strömungen der Geschichte und Gegenwart entdeckte. Diese Quelle bleibt. Es ist mein erster Sehepunkt, wie es in der Geschichtswissenschaft heißt. Allerdings war auch von Anfang an die Verwurzelung in dem, was ich als Gottes Gegenwart bezeichne stärker als die Verwurzelung in der Institution. Ich wurde in Barbing getauft und ging dort zur Erstkommunion. Aber wir waren sonntags in der Innenstadt von Regensburg zum Gottesdienst. Wir beteten regelmäßig in der Familie und doch war ich lange Zeit weder Ministrant noch nahm ich an Jugendfreizeiten der Kirche teil.
Ich war zwei Jahre im Priesterseminar Regensburg und zog mich doch schließlich zurück in die hinteren Bankreihen, weil mir - so überliefert mein Tagebuch - der Weg zum Priester zu leicht schien. Im Priesterseminar zu bleiben hieß für mich, Gott zu verlieren.
Gott verlieren in der Stadt, in der jede Ecke christliche Symbole hat? Das ist doch Quatsch! Hatten nicht die Christen vieler Jahrhunderte alles dafür getan, ihn sichtbar und erlebbar zu machen? Ein Blick in die Alte Kapelle zeigt doch die Herrlichkeit des Himmels? Und wer es nicht so üppig mag, hat wenige Schritte daneben die strenge Erhabenheit des Regensburger Domes.
Und daneben erzählen noch viele andere Kirchen, Kapellen und Symbole von Gottes Gegenwart... oder erzählen sie eher von einem vergangenen Glauben?
Hart treffen die Skandale gerade jene Ortskirchen mit reicher Geschichte und vielen Glaubenszeugen. Und widersprüchlich erscheint das Engagement für Frauen einer Kirche, die erklärt, sie habe keine Vollmacht, Frauen zu Priester zu weihen? Und wie passt es zusammen, Diskriminierung von Menschen mit homosexueller Orientierung abzulehnen, aber eine Segnung zu verweigern? Wieso kann es kein gemeinsames Abendmahl geben, wenn der ökumenische Dialog doch schon so oft ergeben hat, dass uns mehr verbindet als trennt?
Mein Sabbatjahr zwischen dem Tod meiner Frau und meinem 50. Geburtstag dient auch meiner Ortsbestimmung im Glauben und in der Kirche...und dabei spielen Erfahrungen aus fünf Jahrzehnten eine wichtige Rolle.