Gedanken zu Joh. 15, 9 - 17.
Vielleicht sollte es ein anderes Wort geben: Liebe ist durch Inflation entwertet. Ich liebe Dich. Das klingt zunächst warm und angenehm. Es klingt danach, angenommen zu werden. Ich komme an. Zu Hause. Ich liebe Dich. Ich gehe einen gemeinsamen Weg mit Dir. Und dann droht ein schleichender Prozess: Die Liebe wird zum Besitz. Diese Person ist allein mein. Berührung und Kuss werden zur Markierung eines Eigentums. Bleib mein wie ich Dein bleib! Und dann gibt es die Pervertierung von Nähe. Statt Liebe herrscht Macht und Gewalt.
Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein um seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist. (Mt 18,6)
Wer die körperlichen Zeichen der Nähe missbraucht, um Macht auszuüben, zerstört Vertrauen und verursacht Verletzungen, die oft ganze Familien zerstören.
Vielleicht können wir gerade jetzt während Corona lernen, dass Liebe sich auch und gerade durch Distanz ausdrücken kann. Nicht nur wegen Covid, sondern weil manche Symbole der Nähe zu oft missbraucht wurden.
Bleibt in meiner Liebe! Das Johannesevangelium legt dieses Zitat in Jesu Mund. Ist das auch die Markierung eines Anspruchs? Falls ja, dann kein Anspruch, nun allein Jesus zu lieben und alles andere zu vergessen. Es ist eine Liebe, die danach drängt, weitergeschenkt zu werden. Die Liebe ist die Basis dafür, sich anderen Menschen zuzuwenden ohne diese an sich zu binden.
Im christlichen Eheversprechen findet ebenfalls dieser Begriff von Liebe Anwendung: Zielrichtung des Ja zum Du ist der Aufruf, sich anderen zuzuwenden: den Kindern, der Gesellschaft, der Kirche. Die Verwurzelung in der schenkenden Liebe, die Jesus lehrt ist Voraussetzung einer vollkommenen Freude. Diese Freude ist stärker als Not und Tod. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage.
Die Liebe, welche Jesus schenkt, wird im christlichen Verständnis von der unverwechselbaren Beziehung zu dem Gott getragen, der Beziehung ist und Beziehung schenkt.
Die Liebe Jesu ist zugewandt und zärtlich, aber auch loslassend und befreiend.
Im Blick auf Jesu Umgang mit Frauen und Männern wird deutlich, dass Jesus intensive Freundschaften gepflegt hat. Keine Beziehung aber fesselte und keine Beziehung hinderte ihn daran, seinen Weg konsequent zu gehen. So verstehe ich auch den immer neu umstrittenen Zölibat. Doch dazu werde ich nochmal an einem anderen Tag mehr schreiben.
Wer jemals verliebt war, weiß, dass es keine freie Entscheidung ist, sich zu verlieben. Zumindest ist das meine Erfahrung. Aber es ist sehr wohl meine freie Entscheidung, wie ich diese Liebe gestalte. Gegebene Versprechen haben dabei immer Vorrang und begrenzen immer, wie eng ich mich an einen Menschen binde. Im Verlieben entdecke ich im Du einen unverwechselbaren göttlichen Schatz. Wir sollen einander lieben bedeutet, nach dem Schatz im anderen zu suchen. Wir sind aufgerufen, uns immer neu zu verlieben. Es ist problematisch, wenn Paare sich gegenüber anderen verschließen und nur noch ihre Zweisamkeit pflegen. Es ist problematisch, wenn Zölibatäre nicht mehr fähig sind, Freundschaften liebevoll zu gestalten und Liebe als Bedrohung empfinden.
Damit wir uns nicht verlieren in einem Strudel der Gefühle ist es gut, jeder Begegnung den Ort zu geben, der den anderen befreit und glücklich macht. Diese Liebe ist unser Gebot als Christen.