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Amos, Viehzüchter und Prophet

Ohne Netz und doppeltem Boden

Der Turm steht noch. Daneben wachsen inzwischen Wohnhäuser in den Himmel. Die Kirche hat den Ort gewechselt. Die katholische Propstei steht nun am Ring... nach vielen Jahrzehnten eine Wiederkehr ins Zentrum. 

Ich war damals nicht begeistert von dem Ortswechsel und von dem Neubau. 

Der Gang zur Kirche führte für mich nicht mehr durch das schöne Rosenthal. 

Persönlich hätte ich eine katholische Kirche zu Gast in evangelischen Kirchen spannend gefunden. Gelebte Heimatlosigkeit einer weltweiten Institution. Sichtbare Ohnmacht einer Papstkirche, bei der Dienst zu oft kommuniziert und zu selten gelebt wird. 

Mein Zwischenruf als Hobby-Prophet blieb ungehört. Amos wäre das nicht passiert. 

Manchmal verliert das Salz seinen Geschmack. Geht das überhaupt? Egal. Es geht nicht um Naturwissenschaft, es geht um die Erfahrung. Es gibt Botschaften und Institutionen, die an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft verlieren. Und ja, gerade heute sind die Kirchen davon betroffen. Für manche Menschen hat auch der Staat an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren. 

Manche Menschen hören wir nicht, weil wir der Institution nicht vertrauen, für die sie arbeiten. 

Auch Parteien verlieren an Überzeugungskraft, wenn ihre Inhalte austauschbar wirken. 

Manchmal ist es gut, wenn jemand die unangenehme Wahrheit ausspricht, der unabhängig auftritt, ohne Netz und doppeltem Boden. Wobei man nie ganz von eigener Geschichte und Erfahrung losgelöst handelt und spricht. Nach 50 Jahren auf dieser Erde bin ich von vielen Begegnungen und Erfahrungen beeinflusst. Vollständige Neutralität ist nicht möglich.

Richter prüfen deshalb bei jedem Fall, ob sie tatsächlich nicht befangen sind. 

Die meisten von uns müssen nicht unbefangen urteilen. Wir urteilen trotzdem. Auf Whatsapp und Facebook, am Kaffeetisch und im Verein. 

Vielleicht wären die Gespräche weniger hitzig, wenn wir genauer auf die Erfahrungen schauen würden, die der andere mitbringt. Das kostet natürlich Zeit und Energie. 

Amos betont, dass er kein offizieller Prophet ist, um dann als Prophet aufzutreten. Eigentlich kommt er aus dem Süden, wirkt aber im Nordreich Israel. Dazu fühlt er sich berufen. 

Amos ist kein bezahlter Prophet. Und Amos ist kein Theoretiker. Er war in keiner Prophetenschule. Doch ihm liegt das Schicksal der Menschen in seinem Land am Herzen. Er sieht Gefahren und Fehlentwicklungen, denen er mit drastischen Worten begegnet. 

Auf der Suche nach sichtbaren Zeichen des Unsichtbaren müssen wir garnicht so weit gehen:

Wir selbst sind das eigentlich sichtbare Bauwerk. Wir selbst sind als Boten der Spuren Gottes dazu berufen, sichtbare Zeichen Seiner Gegenwart zu sein. 

"Wisst ihr nicht, dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euer selbst seid?" (1.Kor. 6,19)

Und um dies zu sein, müssen wir nicht warten, bis eine bundesweite Spendensammlung für uns gestartet wird oder bis wir eine kleine Anstellung im Bistum Dresden-Meißen haben (obwohl das manches erleichtern würde). Wir könnten auch Vieh- und Maulbeerfeigenbaumzüchter sein wie der alttestamentliche Prophet Amos, der betont, dass er nicht im offiziellen Dienst einer religiösen Institution steht. Oder Witwer mit chronischer Erkrankung und Söhnen. 

Trauen wir uns, unsere Erfahrungen weiterzugeben ... ohne Netz und doppeltem Boden. 

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