Gedanken zum 12. Sonntag im Jahreskreis (Mt 10/ Röm 5) )
"Ist es nicht ebenso ironisch wie interessant, dass Paulus dreimal wortwörtlich Schiffbruch erlitt? (2 Korinther 11,25) [...] Offensichtlich gibt es etwas spirituell Unverzichtbares, das wir erst erkennen, wenn wir ganz unten sind, wenn uns das Leben ins Gesicht schlägt und wir seine Absurdität zutiefst persönlich erfahren. Das Leben ist nicht gerecht."
Richard Rohr, Vom Bösen.
Blind taste ich mich durch die Welt. Ob eine Entscheidung richtig oder falsch war, zeigt sich oft zu spät. Der kritische Blick auf die Menschheit verstärkt den Eindruck: alles ist Windhauch.
Wir sind selbst Opfer der Geschichte, in die wir geboren wurden. Wir leiden unter den schmerzlichen Erfahrungen anderer. Wir leiden unter den bösen Taten anderer.
Wir sind Täter von künftigen Fehlentwicklungen. Wir gehen einen Weg und beeinflussen mit unseren Entscheidungen das Leben anderer Generationen, die noch kommen. Wir geben anderen Raum in unserem Leben, doch unsere Hilfe kommt nicht immer an.
Jeremía sprach:
Ich hörte die Verleumdung der Vielen:
Grauen ringsum! Zeigt ihn an!
Wir wollen ihn anzeigen.
Meine nächsten Bekannten
warten alle darauf, dass ich stürze:
Vielleicht lässt er sich betören,
dass wir ihn überwältigen und an ihm Rache nehmen können. [Jer 20,10]
Paulus blickt zurück an den Anfang. Die falsche Entscheidung des "ersten Menschen" führt zu Weichenstellungen, die vom Paradies und von der Quelle des Lebens wegführt. Die Macht des Todes wächst, wo Menschen ängstlich am Leben festhalten und dazu andere ihrer Macht unterwerfen. Diese Macht ist jedoch Illusion, weil jede menschliche Macht durch den Tod begrenzt ist.
Paulus verwendet Sünde im Singular [Hamartia]. Die Sünde wird mächtiger, je weiter ich mich von Ziel entferne. Das Ziel ist Gott. Es bringt insofern wenig, konkrete Dinge als Sünde zu bezeichnen. Entscheidender ist die Hinordnung auf das Ziel.
Jesus gibt den entscheidenden Hinweis: Liebe führt zu Gott. Liebe befreit von Sünde und Gesetz:
Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. [Lk 7,47]
Der Weg zurück zum Paradies führt über die Liebe, die im Widerspruch zu weltlichen Machtansprüchen steht. Gesetze und Gebote können Hinweise darauf geben, welche Dinge mich in die falsche Richtung führen. Die eigene Lebenssituation kann aber den Bruch von Gesetzen erfordern, um der Liebe zu gehorchen.
Die Liebe strebt nicht nach Macht, die Liebe ermächtigt andere, frei zu handeln, unabhängig von den äußeren Umständen. Die Liebe nimmt den Tod eigener Pläne in Kauf, um das Leben anderer zu ermöglichen. Die Liebe begibt sich selbst in Gefahr statt aus dem sicheren Palast heraus andere in den Tod zu schicken.
Für diesen scheinbar paradoxen Lösungsweg steht Jesus Christus. Der Fokus auf Gott und auf die Liebe entzieht denen die Machtbasis, die mit der Vernichtung des Körpers drohen, obwohl diese Diktatoren doch selbst Windhauch sind.
"Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können". (Mt 10, 28)
Diktatoren bedrohen und töten Menschen, um Verbrechen zu verschleiern und Zeugen zu beseitigen. Für den Moment scheint dies zu klappen. Doch langfristig scheitert der Versuch.
"Fürchtet euch nicht vor den Menschen!
Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird,
und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird." (Mt 10,26)
Die Logik der Welt antwortet seit Jahrtausenden auf Gewalt mit Gewalt. Jesus entzieht sich dieser Logik und wird gerade dadurch zur Gefahr für die Herrschenden. Wie spannt man den Menschen für die eigene Machtsicherung ein, wenn dessen Hoffnung stärker ist als der Tod? Die Christen der ersten Jahrhunderte beeindruckten dadurch, dass sie den Tod nicht fürchteten.
Weil ihr zu mir gehört, werdet ihr vor Machthabern und Königen verhört werden. Dort werdet ihr meine Botschaft bezeugen, damit alle Völker von mir erfahren. Geschwister werden einander dem Henker ausliefern und Väter ihre eigenen Kinder hinrichten lassen. Und auch Kinder werden gegen ihre Eltern vorgehen und sie in den Tod schicken. Alle Welt wird euch hassen, weil ihr euch zu mir bekennt. Aber wer bis zum Ende standhält, der wird gerettet. (Mt 10, 21 - 22)
Paulus blickt im Römerbrief auch auf Abraham. Paulus lenkt den Blick auf den Glauben des Stammvaters. Dieser Glaube ist älter als die gesetzlichen Vorschriften, die ihren Kern im Dekalog haben. Paulus:
Gott hatte Abraham versprochen, dass er und seine Nachkommen die ganze Welt zum Besitz erhalten würden. Aber dieses Versprechen gab Gott nicht, weil Abraham das Gesetz erfüllte, sondern weil er Gott unerschütterlich vertraute. Damit fand er Gottes Anerkennung. (Röm 4,13)
Die Logik der Welt setzt ihr Vertrauen auf vergängliche Dinge: Reichtum, Macht, eigene Gesundheit, eigene Kinder oder auch die Nation, in die man zufällig geboren wurde. Der Ohnmächtige erkennt, dass alles nur vergängliches Geschenk ist.
Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen, sondern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. [Mt 6, 19 - 21]
Der Ohnmächtige sucht nach einem Halt, der durch Krisen trägt und stärker ist als Leid und Tod.
Der Weg Jesu ist in dieser Situation ein Glaubensangebot [proposer la foie], das gründliches Nachdenken und eine freie Antwort erfordert.
Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet, wenn ihr an dem Wortlaut festhaltet, den ich euch verkündet habe. Oder habt ihr den Glauben vielleicht unüberlegt angenommen? [1 Kor 15,2]
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