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Vom Unkraut im Weizen

Gedanken zum 16. Sonntag im Jahreskreis

In der Stille der Nacht höre ich eine Stimme. Ich würde sie gerne ignorieren. Ich weiß nicht, ob ich immer richtig verstehe, was die Stimme will. Ich weiß aber, dass mich die Stimme auch in tiefstem Leid und in den Wüsten meines Lebens nicht verlassen hat. Also rede ich. Aber ich höre auch die anderen,die mit mir am Weg sind. Jeder hat seine Perspektive. Erst im Dialog gelingt es, das Mosaik so zusammenzusetzen, dass die befreiende Botschaft für die Ohnmächtigen zum Leuchten gebracht wird. Erst im Dialog der Perspektiven verstehen wir wirklich, wohin der Weg führt. Der Ernstfall der Liebe beginnt dort, wo wir den anderen nicht verstehen und glauben, dass der andere vom Weg abgeirrt ist. Vielleicht sind wir in Wahrheit alle am falschen Weg und sehen einfach den Splitter besser als den eigenen Balken. Ich misstraue Menschen, die mit großem Selbstbewusstsein ihren Umgang mit Schuld und Sünde für den einzig richtigen Weg halten. Ich misstraue Menschen, die genau zu wissen glauben, was richtig und falsch ist. Vielleicht hätte ich auch gerne dieses Selbstbewusstsein. Doch ich bin schwach und ohnmächtig. Wer also bin ich, dass ich hier wage, zu schreiben? 

Sehr geehrter Jesus Christus! 


Ich habe verstanden. Andere haben nichts verstanden. Ich habe für mich die Welt so gedeutet, dass es für mich passt. Ich habe selbst Leid und Schmerz erfahren. Ich war in der Wüste und darf daher reden. Ich habe mit anderen gesprochen, die Leid und Schmerz erfahren haben. Und ich habe die strukturellen und individuellen Ursachen erkannt. Ich war in Gremien und Kommissionen. Nun habe ich eine klare Idee, was geschehen muss, um Leid und Schmerz zukünftig zu verhindern. Wer das nicht so wie ich sieht, will das Leid fortschreiben. Anders kann es garnicht sein. Wer das nicht so sieht, will verschleiern, was passiert ist. Und natürlich wäre es für die Welt am besten, meine Deutung zu übernehmen. Es ist der einzig richtige Weg. Reisst das Unkraut aus! 

Wie bitte, Jesus? Ich habe versehentlich auch Weizen vernichtet? Das war jetzt aber nicht so geplant. Du hattest davor gewarnt, ich weiß. Aber ich wollte doch die Welt besser machen. Und nun gibt es neue Verletzungen. Vielleicht hätte ich lieber mit der kritisierten Person erst unter vier Augen sprechen sollen? Ja, ich weiß, genau das hattest Du empfohlen. Entschuldigung. 


Mit freundlichen Grüßen 

Dein 

E.-U.K. 





Sehr geehrter Jesus Christus!


Du hast mir zu verstehen gegeben, dass Du da noch ein paar Ergänzungen hast. Ich bin unsicher, ob ich Dich richtig verstehe, aber Du meintest, es werde schon jemand geben, der mich korrigiert, wo ich Dich nicht verstanden habe. Du meintest, das wird im geschwisterlichen Dialog geklärt. Vielleicht hast Du, oh Jesus, nicht ganz verstanden, wie das Internet funktioniert. Da wird nicht auf Zwischentöne gehört. Es reicht ein falscher Begriff und alle fallen über Dich her. Bitte?

Ja, ich weiß, das kennst Du auch. Also was wolltest Du sagen? 

Die an Dich glauben sollen eins sein, damit die Welt glaubt? Ja, das kenne ich. Du weißt, dass es da unterschiedliche Deutungen gibt? OK. Ich soll schreiben, was ich davon verstanden habe. Aber Du musst verstehen, dass ich Angst habe. Ich bin schwach und verletzlich...was meinst Du? Ich soll aufhören mit dem Gejammer? Na gut. 

An die Christen in Facebook schreibe:  

Ich muss  mal in mich gehen und darüber nachdenken, warum Texte, die damit beginnen, anderen vorzuwerfen, sie hätten "nichts verstanden" bei mir Abwehrreflexe auslösen. Das gilt unabhängig vom Inhalt. Vielleicht liegt es daran, dass eigentlich ein Gespräch damit verunmöglicht wird. Ich bin ja derjenige, der verstanden hat. Der andere muss meine Perspektive einnehmen. Vorher müssen wir garnicht weiter sprechen. 

Mich beschäftigt das Evangelium vom Unkraut unter dem Weizen, weil es typisch ist für uns Menschen. Wir haben uns viele Gedanken gemacht, um die Welt oder wenigstens die Gemeinschaft, in der wir leben, zu einem besseren Ort zu machen. Und irgendwie gehen wir davon aus, andere müssten, wenn sie nur ein bisschen nachdenken, zum gleichen Ergebnis kommen. Je nach Standpunkt im theologischen Diskurs haben Christen die Tradition, die Empirie, den Vatikan, synodale Gremien, die Wissenschaft oder auch die Bibel und Christus selbst auf ihrer Seite. Warum begreifen die anderen das bloß nicht? 

Wir verkünden dogmatisch, dass die anderen mit ihren Überzeugungen absolut falsch liegen. 

Damit die Welt glaubt, sollen die Christen eins sein. Seit dem 19.Jahrhundert wächst das Bewusstsein, dass damit eben nicht eine Einheitskirche gemeint ist, die einseitig erklärt, sie sei am richtigen Dampfer und alle anderen sollen einfach ihre klapprigen Boote aufgeben und einsteigen. 

Was die Welt zum Glauben führen könnte, wäre eine Gemeinschaft, die tatsächlich miteinander im Gespräch bleibt. Und dabei sind soziale Medien und Kirchenzeitungen nicht immer sehr hilfreich. 

Da streitet dann ein Bischof und eine Theologin auf offener Bühne und kommt erst spät auf die Idee, mal direkt mit dem kritisierten Theologen zu sprechen. Da wird der Kommentar einer Ordensschwester in der Luft zerrissen und keiner scheint mal das direkte Gespräch zu suchen.

Nein, ich glaube nicht, dass das Gespräch immer hilft, aber es gehört zum Konzept Jesu, erst unter vier Augen zu sprechen, "wenn Dein Bruder etwas gegen Dich hat". Das soll Verhärtungen verhindern. 

Was ich zu sagen habe, ist doch nicht neu. Das haben doch schon andere gesagt, o Herr. Lass mich einfach liegen. Ich kann nicht gut schreiben, weder gestern, noch vorgestern noch seit Du mit mir sprichst. Eigentlich hat doch Ignatius schon alles gesagt: 

Damit sowohl der, der die geistlichen Übungen gibt, wie der, der sie empfängt, mehr Hilfe und Nutzen haben, ist vorauszusetzen, daß jeder gute Christ bereitwilliger sein muß, die Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verurteilen; und wenn er sie nicht retten kann, erkundige er sich, wie jener sie versteht, und versteht jener sie schlecht, so verbessere er ihn mit Liebe; und wenn das nicht genügt, suche er alle angebrachten Mittel, damit jener, indem er sie gut versteht, sich rette.

Na gut. Ich gehe...

An die Christen in Deutschland schreibe:

Ich kenne Eure reiche Geschichte. Und ich weiß um die Sorge Eurer Bistümer, Landeskirchen und Gemeinden. Ihr seid reicher als andere Kirchen in der Welt. Vielleicht lässt gerade das andere Gemeinden misstrauisch auf Euch sehen. Ich habe kein Amt in der Kirche und ich bekomme kein Geld von der Kirche. Vielleicht bin ich einfach neidisch, aber vielleicht gibt mir die Distanz auch eine andere Perspektive: 

Ja, es gibt ein Problem der Macht bei Euch. Ihr redet von Dienst, aber ihr lebt vom Reichtum der Kirche. Ihr redet von Strukturreformen und müsst doch auch hoffen, dass Eure Stellen weiter finanziert werden. 

Ihr Christen in den reichen Bistümern und Landeskirchen des Westens, schaut nach Leipzig und versteht, wie Kirche in der Minderheit funktionieren kann. Was Jesus glaubwürdig machte, war seine Bereitschaft, auf jede Macht eines Königs zu verzichten. Was Christen in den ersten Jahrhunderten besonders glaubwürdig machte, war ihr Verhalten in der Ohnmacht. 

Herr, was soll ich tun, fragte der reiche Jüngling? Geh und verkaufe alles! Die Kirche in Deutschland aber ging traurig weg, denn sie war sehr reich... 

Nein, Jesus, das kann ich nicht schreiben. Ich bin doch selbst reich. Dreimal pro Woche gehe ich zur Dialyse. Wie viele Menschen auf anderen Kontinenten sterben, weil sie keine Behandlung bekommen. Auch ich muss traurig weggehen. Auch ich weiß nicht, ob ich dort, wo ich Verantwortung hatte, immer auf die Schuld anderer schnell und richtig reagiert habe. Ich habe den Schuldigen ausgeschlossen, um den Unschuldigen zu schützen. Aber der Unschuldige fand das zu hart. 

Vielleicht sind die Opfer kein monolithischer Block? Vielleicht gibt es nicht die eine richtige Antwort? 

Reisst das Unkraut aus! Das fordern nur jene, die selbstbewusst ihren Weg für den einzig richtigen Weg halten, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ich aber bin ein Suchender. 

Wenn alle mir zustimmen, habe ich Zweifel. Denn kein Mensch kann in sich alle Perspektiven überblicken. Wir brauchen den Widerspruch, um den Balken im eigenen Auge besser zu sehen.

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