Der Weg der Ohnmacht

Die Erfahrungen mit Jesus und das Nachdenken über ihn führten zum dogmatischen Lehrsatz, dass dieses Kind wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Das Glaubensbekenntnis von Nizäa startet mit den Worten:

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen. 

Gott kommt in die Welt. Hirten und Engel beten ihn an. Ein machtvolles Bild wird gezeichnet. 

Nach Weihnachten wird die Feierlaune durch zwei Feste in liturgischen Kalender nachhaltig getrübt. Das scheint Absicht. 

Da ist zunächst Stephanus. Er ist einer von sieben Diakonen. Er stirbt für den Glauben an Christus. 

Zwei Tage später wird erzählt, wie Herodes auf der Suche nach Jesus Neugeborene töten lässt. 

Gott geht in die Ohnmacht. Menschliche Herrscher üben brutal Macht aus. 



Die junge Gemeinde wurde rasch größer. Das führte zu ersten strukturellen Problemen.  Die Hellenisten fühlten sich benachteiligt. Die Berufung der sieben Diakone sollte das Gleichgewicht wieder herstellen. Hauptaufgabe: dafür sorgen, dass die Witwen der Hellenisten nicht übersehen wurden. 

In der katholischen Kirche sind auch heute die Diakone jene, die darauf achten, dass andere gesehen werden. Sie gehen zu den Menschen, die von der Gemeinde übersehen werden. Sie gehen zur Gemeinde und weisen auf Nöte hin. Sie erhöhen die Niedrigen. Damit üben die Diakone eine  Kernaufgabe von Kirche aus. 

Herodes war ein König, der sich durch maximale Grausamkeit an der Macht hielt. Dieses Bild zeichnet auch das Matthäus-Evangelium, das uns von der Tötung von Erstgeborenen berichtet, um einen möglichen Konkurrenten am Thron auszuschalten. Jesus selbst ist zu diesem Zeitpunkt von seiner Mutter und seinem Adoptivvater nach Ägypten gebracht worden. Die Geschichte selbst wird von Historikern als Legende betrachtet. Das Bedürfnis der Mächtigen, ihre Macht mit Gewalt zu sichern und auszuweiten, ist aber bis in die Gegenwart traurige Realität. 

Unzeitgemäße Zeitgenossen, Leipzig
Unzeitgemäße Zeitgenossen, Leipzig

Auch Stephanus ist nicht ohnmächtig. Er bleibt nicht bei seiner Kernaufgabe, die Witwen bei der Versorgung zu berücksichtigen. Er spürt einen prophetischen Auftrag und setzt diesen mit machtvollen Worten um. In seiner Rede wendet er sich mit scharfen Worten an seine Gegner. Das führt aber nur zu seinem eigenen Tod, nicht zum Tod von anderen Menschen. 


  • Selbstverständlich darf man einem Prinzip ein Leben opfern – doch nur das Eigene. R. H. (Rolf Hochhut)


Die Rede über Gott entsteht aus der Erfahrung von Menschen mit dem göttlichen Geheimnis. Die Erfahrung mit Jesus führte zu der Erkenntnis, dass Gott nicht mit Gewalt seine Macht durchsetzt:

Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht:

Er war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein,

sondern er entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich. / Sein Leben war das eines Menschen;

er erniedrigte sich / und war gehorsam bis zum Tod, / bis zum Tod am Kreuz. [Phil 2, 5 - 8]


Die Ohnmacht ist eine Eigenschaft, die wir normal nicht mit Gott verbinden. Die Ohnmacht ist etwas, was Gott von sich selbst fordert, um den Menschen frei zu machen. Die Ohnmacht der Ohnmächtigen ist eine Erfahrung, gegen die wir mit unserem Dienst als Christen stehen sollen. Unser Werkzeug ist nicht die Macht der Herrschenden, sondern die Liebe des göttlichen Kindes in der Krippe. 

Nie dürfen wir verlangen, dass ein anderer Mensch in die Ohnmacht geht, um unsere Macht durchzusetzen.  Es geht darum, die eigene Ohnmacht zu ertragen und andere zu ermächtigen, die unter Macht leiden. 

Das scheint nicht so kompliziert. Doch die Christen ringen seit 2000 Jahren mit der Frage, wie sie mit Macht und Ohnmacht umgehen. Und auch ich muss immer neu überlegen, wie dieser Weg der Ohnmacht gelingen kann. 

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