Das Absolute Du

„Ich will das, was du willst, ohne mich zu fragen, ob ich es kann. Ohne mich zu fragen, ob ich Lust darauf habe. Ohne mich zu fragen, ob ich es will.“

Madeleine Delbrêl

Notizen zum Credo 2

Menschen reden von sehr unterschiedlichen Dingen, wenn sie von "Gott" reden. Bei jedem Wort, das ein Mensch spricht, schwingen Erfahrungen mit. Das macht die Sache kompliziert. Bei Google und Wikipedia kann das Wort "Gott" recherchiert werden. Man kann die Vertreter der Religionen befragen. Um der Realität nahe zu kommen, von der hier gesprochen werden soll, ist indes eigene Erfahrung wichtig. Schwimmen lernen wir nicht an Land. Glauben klappt nicht in ängstlicher Distanz zum Du.

Kirchen und Religionen schrecken zu oft ab. Ich verstehe daher die Angst zu gut. Die Glaubenden reden zu oft von Gott so, als hätten sie einen exklusiven Zugang zur VIP-Lounge. 


Es braucht einen individuellen Sprung in den Glauben. Dieser Sprung in den Glauben darf und muss dann immer kritisch befragt werden, damit er in der Krise trägt. Tatsächlich erkennt derjenige, der einen Zipfel des göttlichen Mantels spürt, dass er schon immer vom Du umgeben war. 


Von Gott zu reden, ist gefährlich, wissen jene, die wegen ihrem Glauben verfolgt werden. 

Von Gott zu reden ist gefährlich, wissen jene, denen von anderen eine falsche Vorstellung von Gott vorgeworfen wird. 

Von Gott reden die Theologen wie eifrige Sammler von Briefmarken, die nie wirklich an den Orten waren, von denen die Bildchen erzählen. 

Von Gott reden die Mächtigen dieser Welt und der Religionen, die im Namen Gottes eigene Vorstellungen durchsetzen und Unrecht tun. 

Manche lehnen Religionen, Kirche, Nationen und Institutionen und auch Gott ab. Manchmal sind diese Menschen in ihrer Leidenschaft für das Du dichter am göttlichen Geheimnis als die Gläubigen. Es lohnt sich, Gott da zu suchen, wo die Menschen nicht mehr an ihn glauben. 

Autobahnkirche Brumby
Autobahnkirche Brumby

Ich will, was Du willst. Das ist eine fatale Kapitulation des Ich, wenn dieser Satz zu einem anderen Menschen gesagt wird. Madleine Delbrêl aber meint das absolute Du. Ich kann auf ein Du hören, wenn ich in seinen Worten Gottes Wort fühle. Gehorsam darf in letzter Konsequenz allein Gott fordern. 

In Gottes Namen sprechen zu oft Menschen, die sich selbst wichtig machen wollen. Die echten Propheten erschrecken, wenn der Ruf kommt. Am liebsten würden sie ein Schiff besteigen und weit weg fahren. Jona macht das. Doch das klappt nicht. Gottes Ruf führt den Gerufenen in die Ohnmacht. Ab jetzt läuft nichts mehr nach dem Willen des Boten. Gott handelt und Jona spricht, was ihm vom absoluten Du  befohlen wurde. Danach sitzt Jona frustriert unter dem Strauch.


Die falschen Propheten verwechseln Gottes Stimme mit dem eigenen Vorteil. 

Du musst das tun, weil ich weiß, was das Beste für Dich ist. Das ist ein Machtgefälle, bei dem ich dem Du meinen Willen aufzwinge. Es gibt geistlichen Missbrauch, bei dem ein falscher Prophet seinen eigenen Willen mit Macht durchsetzen will.

Gott will es! Das war und ist in vielen Kriegen der willkommene Vorwand, dem Du Gewalt anzutun. 

Gott will es! Das sagen auch heute noch Diktatoren in ihren Palästen zu der Menge, um ihren Einfluss zu sichern und Hass und Gewalt zu rechtfertigen. 

Ist das Wort noch zu retten? 

Magdeburg. St.Sebastian.
Magdeburg. St.Sebastian.

Loslassen. Wer von Gott spricht, muss zunächst alle Bilder von Gott loslassen. Das Bilderverbot der Zehn Gebote will aus meiner Perspektive genau das: hinter den tausend Vorstellungen von Gott die eigentliche Bedeutung suchen. 

Loslassen. Wer Gott sucht, lässt alle materiellen Dinge los, die er angesammelt hat. 

Loslassen. Wer Gott sucht, lässt auch alle Beziehungen los. Die Seele braucht ihren individuellen Zugang zu dem letzten Grund der eigenen Existenz. 

Loslassen. Das ist der Versuch, jene absolute Außenperspektive zu finden, in deren Licht dieses Chaos Sinn und alle Verletzungen Heilung finden. 

Loslassen. Das verletzt und macht verletzlich.  Wir haben uns eingerichtet in unseren Vorstellungen und Geboten, unseren Beziehungen und materiellen Gütern. Andere haben sich eingerichtet in unseren Beziehungen und materiellen Gütern, die uns verbinden.

Kann man dem noch vertrauen, der alles loslässt?

Autobahnkirche Brumby. Jesus und der Lieblingsjünger
Autobahnkirche Brumby. Jesus und der Lieblingsjünger

Simon, genannt Petrus und Andreas kommen zu ihrer Familie zurück. Sie bringen Besuch mit: Jakobus,  Johannes und Jesus.  [Mk 1,29-39]

Ja, sie hatten alles verlassen. Und doch bleibt eine Verbindung. Nun ist es wichtig, dass sie wieder zurückkehren. Die Schwiegermutter des Petrus ist schwer krank. 

Ja, sie hatten alles verlassen. Darauf weist Petrus selbst an anderer Stelle (Lk 18,28) hin, verbunden mit der unausgesprochenen provokanten Frage: Was haben wir jetzt davon?

Der Aufbruch des Petrus führte dazu, dass seine Frau ihren Mann verlor...zumindest darf dies vermutet werden. Die orthodoxe, armenische und römische Tradition kennt zudem noch eine Tochter des Petrus, die allerdings in der Bibel nicht erwähnt wird: Petronilla

Jesus, wegen dem Petrus und Andreas ihre Heimat aufgegeben hatten, lebte ehelos. Diese Ehelosigkeit bedeutete aber keinen asketischen Verzicht, sondern bewusste Gestaltung von freundschaftlichen Beziehungen. Besonders das Johannesevangelium betonte die herzliche Wärme der Beziehungen, die er pflegte: "Denn Jesus liebte Martha, ihre Schwester und Lazarus." (Joh 11,5) 

Der Besuch nimmt die Verantwortung des Petrus für seine Schwiegermutter ernst. Der Besuch ist von Herzlichkeit und Nähe geprägt. Zugleich ist es keine exklusive Zuwendung. Nicht nur die Schwiegermutter findet in der Nähe des Besuchers Heilung, sondern "die ganze Stadt". 

Wer alles loslässt, um allein Gott zu dienen, gewinnt ein inklusives Netz neuer heilender Beziehungen. 


Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen. (Mk 10,29f)


Loslassen ist also nicht wegwerfen. Noch am Kreuz zeigt Jesus, dass ihm die Menschen wichtig sind, zu denen er eine Beziehung aufgebaut hat. 


Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. [Joh 19,26-27]

Schale mit Loch
Schale mit Loch

 Gott suchen heißt, alle Beziehungen und Dinge neu auf dieses Zentrum hin zu ordnen. 


Gott suchen heißt, sich von allen Beziehungen trennen, die den Weg zu Gott behindern und die von Gott wegführen. 


Gott suchen heißt, den stillen Begleiter unserer Existenz von allen Vorstellungen zu befreien. Wir reden von keinem Ding in der Welt und doch von dem letzten Sinn hinter allen Dingen, dem wir in allen Dingen begegnen. In ihm bewegen wir uns, leben wir und sind wir. [Apg 17,28] 


Wir beschreiben in Bildern ein unbeschreibliches Geheimnis. Wir sind Blinde, die Blinden von der Sonne erzählen, weil sie an einem Sommertag die Wärme fühlten. Es kann auch eine Heizung gewesen sein. Es geht um eine Spurensuche nach dem letzten Geheimnis. Wir werden uns nicht damit zufrieden geben, wenn man uns schlüssig nachweist, dass es die Sonne nicht gibt und wir nur zu nah an der Heizung waren. Wir suchen weiter. 


Da die Donau, der Strom meiner Kindheit, mit der Quelle verbunden ist, finden wir in den Fluten, die am Rande der Ukraine in das Schwarze Meer münden, Wassertropfen, die auch an der Quelle im Schwarzwald waren. Viele Tropfen kommen aus anderen Quellen, aber es gibt diese Tropfen aus der ersten Quelle. Ebenso erkennt der Glaubende im Strom der Zeit in allen Dingen den, der Anfang und Ziel aller Existenz ist. 

Gott suchen heißt, darauf vertrauen, dass das Leben stärker ist als der Tod. Der Tod hat nicht das letzte Wort. Der glaubenden Seele ist das Trost, nicht Vertröstung, wenn sie selbst in Krisen an dem absoluten Du festhielt, dessen Wärme sie in Schlüsselmomenten der Existenz spürte. 

Glauben an Gott ist Vertrauen in einen letzten tragenden Grund meiner Existenz. Ich springe ins Wasser und sehe, ob die Fluten mich tragen. Es darf nie um einen eigenen Vorteil gegenüber einem Du gehen - weder in dieser Welt noch in der Ewigkeit. Das Weltgericht kennt keine Platzreservierung

Ich darf nie meinen Weg anderen vorschreiben. Ich kann von meiner Erfahrung sprechen, aber ich habe keinen exklusiven Zugang zu Gott und seinem Willen. Ich muss meine Erfahrung prüfen und hinterfragen lassen. Was ich glaube, erkannt zu haben, bindet immer nur mich, nie Dich! Wenn Deine Erfahrung meinen Texten widerspricht, geh Deinen eigenen Weg. Ich lasse mich nicht festhalten und halte nicht fest. Prüf alles! Behalte, was Dir im Innersten gut tut!


Habt ihr den Glauben vielleicht unüberlegt angenommen, fragt Paulus, der keine halben Sachen mag. [1 Kor 15,2]

Gleichzeitig kann ich nicht anders als von dem sprechen, was dieses absolute Du in mein Herz gelegt hat. 

Weh mir, wenn ich diese Nachricht nicht weitergebe. [1Kor 9,16]

Alle anderen Bindungen können in diesem Licht nur vorläufig sein. Ich bin in der Welt, mein Blick aber geht über diese Welt hinaus. Der Gehorsam zu Gott steht an erster Stelle und durchkreuzt jeden anderen Gehorsam, den Menschen erwarten. 

Wenn Du in einem Wort von mir Gottes Wort zu entdecken glaubst, folge nicht mir, sondern dem Wort. Niemand bleibt auf der Autobahn am Wegweiser stehen. 

Du!

Ich will das, was Du willst!

Das geht mir nicht so leicht von den Lippen. 

Ich sage es dennoch. 

Dir zu widerstehen bedeutet,

vom innersten Sinn und Ziel meiner Existenz abweichen.


Du!

Du begegnest mir in den Menschen, die meinen Weg begleiten. Manche sind bereits zu Dir zurückgekehrt. 

In jeder neuen Freundschaft und Liebe erkenne ich Deine Spuren. 

Lass mich erkennen, wo meine Nähe gebraucht wird. 

Lass mich mit ganzer Seele und mit großem Respekt vor dem Du lieben ohne Erwartung eines Vorteils. 

Lass mich immer wieder loslassen, damit der andere seinen Weg findet und konsequent geht. 

Ich bin Wegbegleiter, nicht Ziel. 


Du allein bist Anfang und Ziel.

Lass mich immer wieder in der Stille Deine Nähe suchen. Lass mich entdecken, wo mein Herz zu brennen beginnt. Lass mich aufmerksam Deine Stimme suchen. Im Du. In den heiligen Schriften. Im Säuseln des Windes. 


Deine Huld ist besser als das Leben, darum preisen Dich meine Lippen. 

Nach Dir schmachtet mein Leib. Mit Dir streite ich, wenn ich verzweifelt und überfordert bin. Ich suche Dich auf nächtlichem Lager und sinne über Dich nach im Alltag.


Segne meine Zweifel und meine Fragen, damit ich mich nicht an Bilder und Worte hänge,sondern hinter allen Bildern und Worten Dich suche und von Deinen Spuren erzähle.

Segne meine Worte und Taten, damit ich niemanden von Dir wegführe und niemanden an mich binde. 

Du allein bist Anfang und Ziel. 

Amen. 



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