Man muß alles tun, was in seinen Kräften liegt:
geben, ohne zu zählen, sich ständig loslassen, mit einem Wort, seine Liebe durch all die kleinen Werke, deren man fähig ist, beweisen.
Therese von Lisieux
Notizen Zum Credo 3
Loslassen.
Die Suche nach dem Ich führt heute die Forscher in ein verwirrendes Mosaik von Hirnarealen, die Informationen austauschen. In diesem Miteinander und im Dialog mit den vielen Du in der Welt kommt das Ich zum Bewusstsein und wundert sich über seine Existenz. Es gibt keinen Punkt im Gehirn, wo das Ich sich aufhält. Ich bin eine Symphonie aus vielen Stimmen.
Loslassen.
Um mich sind viele Stimmen, die mich beeinflussen. Auf der Suche nach meinem Weg muss ich entscheiden, durch welche Tür ich gehe und welche Träume ich loslasse. Welchem Rat folge ich?
Glaubende lauschen einer Stimme, die seltsam vertraut scheint [Joh 10,27]. Einem Fremden würden sie nicht folgen, aber diese eine Stimme klingt nach absoluter Heimat.
Die Suche nach Gott führt in eine Vielfalt von widersprüchlichen Bildern und Erfahrungen, aus denen die Religionen unterschiedliche Lehrgebäude entwickelt haben. Der Mystiker schaut hinter die Bilder und nutzt doch Bilder für die Wirklichkeit hinter dem, was im Alltag erfahrbar ist.
Loslassen.
Die Christen einigten sich - vom Kaiser gedrängt - auf Bilder, um ihre Erfahrung zu beschreiben. Es gibt nun eine gemeinsame Grundmelodie. Andere werden ausgeschlossen. Auch eine Gemeinschaft kann nicht durch alle Türen gleichzeitig gehen. Wie gehen Gemeinschaften mit denen um, die andere Wege gehen wollen? Auch darüber muss Kirche immer neu nachdenken.
Im Credo wird Gott als Vater bezeichnet.
Natürlich hatten die Autoren des Credo den antiken Vater im Kopf und Jesu Vaterbild im Herzen, aber all dies waren schon damals Versuche, sich dem Geheimnis des absoluten Du zu nähern.
Loslassen.
Natürlich haben wir unseren eigenen Vater im Kopf, mit dem wir gute oder schlechte Erfahrungen gemacht haben. Mancher Vater war immer für uns da, mancher Vater fehlte im entscheidenden Augenblick, mancher Vater war unbekannt und bei manchen Vätern wäre es besser, sie würden unbekannt bleiben.
Im biologischen Sinn hat der Vater genau eine Aufgabe: er trägt zum Entstehen des neuen menschlichen Lebens die Hälfte des späteren kindlichen Chromosomensatzes bei. Die andere Hälfte kommt von der Mutter.
Die kommenden Monate entwickelt sich das Leben in der Mutter.
Im biologischen Sinn wird der Mann nicht zwingend gebraucht. Wir brauchen einfach die zwei Chromosomensätze. Entsprechend oft bleibt daher auch der Vater nach der Zeugung abwesend.
Die Information des Mannes wird der Information der Mutter hinzugefügt. Mehr muss aus männlicher Sicht nicht geschehen, um neues Leben entstehen zu lassen.
Die eigentliche Entwicklung passiert in der Frau. Ihr Beitrag ist auch mit moderner Technik weitaus schwerer zu ersetzen. Neun Monate lang bilden Mutter und Kind eine Einheit, die sich gegenseitig beeinflußt.
Kein Wunder also, dass Kinder später oft die Mutter, aber seltener den Vater suchen. Und doch enthält jeder Mensch auch Informationen über den Vater.
Welchen Beitrag leistet der göttliche Vater?
Der Blick in das Weltall ist ein Blick in unsere Geschichte. Irgendwo zwischen den Sternen entstanden die Grundlagen unserer Existenz.
Im Computermuseum Paderborn werden drei Säulen genannt: Materie, Energie und Information.
Physikalische und biologische Systeme enthalten Informationen, die verschlüsselt weitergegeben werden. Mit Hilfe von Materie und Energie werden sie sichtbar. Jedes Naturgesetz und jede Naturkonstante enthält eine Information über das Universum.
Die moderne Entwicklung von Computern beruht auf der Fähigkeit, viele Informationen zu speichern, über große Distanzen in großer Geschwindigkeit verschlüsselt weiterzugeben und auf Endgeräten wieder sichtbar zu machen.
Wir beschleunigen ein Konzept, das die Evolution zuvor bereits geprägt hat.
Informationen sind immateriell. Möglicherweise sind Informationen auch unzerstörbar. Auch ein Schwarzes Loch zerstört Informationen nicht:
„Wenn Sie in ein Schwarzes Loch springen, dann kommt ihre Massenenergie wieder zurück ins Universum, aber in veränderter Form, die zwar die Informationen über Sie enthält, wie Sie einst waren, aber in unerkennbarer Form“, erläutert der Physiker Hawking.
Gott wird bei diesen Beobachtungen nicht zwingend gebraucht. Es könnte auch Zufall sein. Und doch bleibt unklar, woher diese Informationen kommen, die am Ende einer langen Entwicklung das Leben ermöglichen. Warum erlebe ich mich jetzt hier als Ich? Woher kommen diese ganzen Menschen und Lebewesen hier? Entwickelte sich auch auf anderen Planeten Leben? Hängt alles zusammen? Gibt es ein Ziel? Wurde auch diese Information irgendwann bewusst in das Universum gelegt oder hat es sich zufällig gebildet? Kann ein Würfel zufällig eine 7 würfeln, wenn er nur sechs Seiten hat? Er kann, wenn er unendlich viele Seiten hat und es unendlich viel Zeit gibt [wenn ich Richard Dawkins richtig verstanden habe]
Die Glaubenden behaupten, Spuren eines göttlichen Du gefunden zu haben. Aber zu oft diente Glaube dazu, die Macht der eigenen Gruppe zu sichern. Für viele hat daher das Salz seinen Geschmack verloren [Mt 5,13-16].
Der eigentliche Grund Gott als Vater zu bezeichnen ist natürlich das Vaterbild von Jesus.
Jesus ist der Sohn von Maria. Wer ist denn der Vater von Jesus? Joseph ist es nicht. Joseph wollte eigentlich Maria in Stille verlassen, als er von diesem Kind erfuhr. Doch er blieb und wurde der soziale Vater. Maria selbst nimmt das Kind an und gibt sich mit der Erklärung zufrieden, dass das Kind vom Heiligen Geist sei. An dieser Stelle des Credo beschäftigt mich aber mehr, wie Jesus mit dieser irregulären Herkunft umgeht.
Mit 12 Jahren reist der Sohn mit Joseph und Maria nach Jerusalem. Bei der Rückreise fehlt plötzlich Jesus. Der war im Tempel geblieben.
Voller Sorge wird er gesucht. Endlich wird er gefunden. Aufgeregt fragt Maria: "Kind, wie konntest du uns das antun?" Jesus reagiert eher verständnislos: "Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?" [Lk 2,41 ff.]
Hey Jesus! Joseph steht da. Dieser Mann war in all den Jahren Dein Vater. Ohne ihn hätte Dein Leben schon als Säugling geendet. Joseph hat sich schützend vor Maria gestellt, die nicht sagen konnte, wer der Vater ist. Was meinst Du, was passiert wäre, wenn Joseph stattdessen gesagt hätte, es gäbe keinen Vater zu diesem Kind? Was meinst Du, wie sich Joseph fühlt, wenn Du ihm auf diese Weise seine Rolle als Vater absprichst?
Wesentlich einfühlsamer wird Jesus auch später nicht, wenn es um das Thema Vater geht.
Als Babys sind sie alle süß! Das ändert sich aber später in der Pubertät.
Pubertät, das ist jene Zeit, in der die Eltern schwierig werden. Das empfinden viele Jugendliche so.
Mit 18 sind sie dann für sich selbst verantwortlich, sagt das Gesetz. Doch irgendwie fühlen sich Eltern dann weiterhin verantwortlich.
Die Darstellungen von Jesu Familie zeigen meist eine heile Welt. Und viele Katholiken streben dieser Perfektion nach. Zumindest solange, bis das eigene Kind andere Wege geht als erwartet. Manche Eltern haben dann doch das Bedürfnis, das Kind mit Gewalt von seinem Weg abzubringen.
Eltern verhaltensorigineller Kinder wissen: das geht schief.
Gerade deshalb ist es beruhigend, dass uns das Markusevangelium diese Szene überliefert:
In jener Zeit
ging Jesus in ein Haus, und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass er und die Jünger nicht einmal mehr essen konnten.
Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen. (Mk 3, 20-21)
Als gläubiger Christ weiß ich natürlich, dass Jesus nicht von Sinnen war. Aber das ist für die handelnden Personen in der Geschichte nicht so klar.
Warum ein Mensch so handelt, wie er handelt, ist uns oft unverständlich. Und wir sind besonders irritiert, wenn wir eigentlich glaubten, den Menschen gut zu kennen. Was tun? Ein Gespräch kann helfen, dachte sich wohl die Mutter Jesu, die offensichtlich auch nicht wusste, wohin das führen wird:
Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben vor dem Haus stehen und ließen ihn herausrufen. (Mk 3,31)
Jesus aber kam nicht. Kein Dialog. Kein einfühlsames Wort. Er wirkt kalt und abweisend. Ein Gespräch ist halt nicht immer die Lösung.
Manchmal ist uns der Mensch, den wir lieben, in dem fremd, was er tut. Manchmal denken wir völlig zu Recht, dass er umkehren sollte, weil er in eine Sackgasse läuft. Manchmal gelingt es uns trotz aller Mühe nicht, den geliebten Menschen aus der Sackgasse rauszuholen. Die Liebe erträgt das, lässt den Geliebten nicht fallen und vertraut darauf, dass am Ende alles gut wird...spätestens in der ewigen Zeitenstille.
Perspektivwechsel: Es gibt Situationen im Leben, in denen ich entscheiden muss, ob ich Erwartungen anderer erfülle oder meinen eigenen Weg gehe. Das ist besonders hart, wenn ich mit meiner Entscheidung Menschen enttäusche, die ich liebe. So eine Entscheidung kann zu Entfremdungen und Spaltungen führen. Solche Entscheidungen bringen vielleicht Unfrieden und das Ende von Beziehungen. Doch es ist wichtiger, dem treu zu bleiben, was man im Innersten will als Wege zu gehen, um andere kurzfristig glücklich zu machen.
Die Mutter Jesu erträgt die Abweisung und steht trotzdem später unter dem Kreuz... und erfüllt damit am Ende das Kriterium dafür Jesu Verwandte zu sein:
Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.
(Mk 3,35)
Gottes Willen ist auch ein Begriff, der von Mächtigen genutzt wird, um die Ohnmächtigen zu unterdrücken. Gottes Willen suchen aber bedeutet: die Information zu entschlüsseln, die mir verrät, was meine Aufgabe in diesem Leben ist.
Ich erkenne mich selbst, wenn ich Gott erkenne.
Ich ahne meinen Ursprung und mein Ziel.
Den Sinn meiner Existenz kann mir kein anderer sagen. Ich selbst muss die Zeichen deuten. Was ist mein nächster Schritt? Wer könnten meine Wegbegleiter sein? Welche Wege muss ich allein gehen?
Andere können versuchen, Hinweise zu geben. Manchmal deuten wir die Zeichen ja falsch.
Samuel schläft im Tempel. Da hört er eine Stimme. Er vermutet, dass sein Lehrer Eli ihn ruft. Am Ende stellt sich heraus, dass er Gottes Stimme gehört hat.
Eli hilft, die Stimme zu erkennen.
Und dann?
Samuel erfährt, dass Gott Eli verurteilt. Samuel soll dies Eli mitteilen. Begeistert ist Samuel von diesem göttlichen Auftrag nicht. [1 Sam 3,1-21]
Der Schüler muss den Lehrer kritisieren.
Berufung ist nicht bequem, weder für den Berufenen noch für das Umfeld.
Berufung ist kein Freifahrschein. Wer einmal eine verschlüsselte Info richtig interpretiert hat, kann beim nächsten Mal auch wieder daneben liegen.
Man sollte also wachsam bleiben und nicht blind Menschen folgen.
These: Es gibt in uns eine einmalige Information, die unserem Leben Sinn und Perspektive gibt. Diese Information ist von Ewigkeit angelegt. Nur wir können die Information entschlüsseln.
Ist daher unsere Aufgabe, uns selbst zu optimieren und perfekt zu werden? Keineswegs!
Wenn ich in mir die Berufung zu einem bestimmten Beruf oder einer bestimmten Tätigkeit spüre, muss ich dann alles daran setzen, mein Ziel zu erreichen?
Nein.
Träume zerplatzen, zu oft findet eine starke Sehnsucht keine Erfüllung, wir erreichen unsere Ziele nicht, weil wir ohnmächtig und verwundet sind. Wir hängen in freudlosen Berufen fest, weil wir das Geld brauchen, um auch morgen unsere Familie zu ernähren. Wir haben uns um die Traumstelle beworben und ein anderer hat den Zuschlag bekommen. Krankheit und Tod berauben uns des Menschen, mit dem wir auf eine gemeinsame Zukunft gehofft hatten.
Wir sind als Samen in die Welt geworfen und müssen mit dem steinigen Boden arbeiten, der uns zugeteilt wurde.
Die Versuchung, uns unter der Decke zu verstecken und auf unsere Berufung zu verzichten, ist groß. [Mt 25,14-30/Lk 19,12-27]
Bereits jene, die von Jesus gerufen wurden, mussten um ihren Platz ringen:
In Lukas 8, 1-3 erfahren wir, dass in seinem engeren Umfeld Männer und Frauen waren. Neben dem männlichen Jüngerkreis erhalten selbstverständlich auch Frauen zentrale Aufgaben. Besonders herausragend ist ihre Rolle bei der Salbung Jesu (Joh 11,2) und als Zeugen der Auferstehung Jesu. (Mt 28,9). Die Evangelien legen freilich auch den Verdacht nahe, dass die männlichen Jünger damit ein Problem hatten. Sie wunderten sich, dass Jesus mit einer Frau am Jakobsbrunnen geredet hatte (Joh 4,27) und sie halten die Botschaft von der Auferstehung für Weibergeschwätz. (Lk 24,11)
Berufung ist insofern zunächst einmal nicht davon abhängig, ob sie von anderen anerkannt wird. Bezugspunkt einer christlichen Berufung ist zunächst einmal Jesus Christus. In der konkreten Ausgestaltung einer Berufung stießen Berufene immer wieder an Grenzen. Zugleich neigen viele Berufene nicht zur Revolution. Sie suchen nicht Ämter und wichtige Plätze in der Kirche, sondern leben ihre Berufung da, wo ihr Herz sie hinführt. Die Aufgabe, für andere da zu sein, kann unabhängig von Ämtern umgesetzt werden.
Zur Frage, wer aus meiner Perspektive ordiniert werden sollte und wie ein kirchliches Amt gestaltet sein sollte, habe ich damit aber ausdrücklich noch nichts gesagt.
Es geht um das letzte Ziel einer Berufung: der Berufene sehnt sich nach der Gemeinschaft mit dem absoluten Du.
Jesus ist ganz bei sich selbst, wenn er ganz bei seinem Vater ist. Und doch ist es kein Monolog. Das wird besonders im Garten vor der Verhaftung Jesu deutlich:
"Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst." (Mk 14,36)
Das Gespräch mit dem göttlichen Vater ist echte Kommunikation. Wie jede Kommunikation unterliegt auch dieses Gespräch mit dem absoluten Du den Gesetzen der Kommunikation.
Es gibt einen Sender und einen Empfänger. Störungen sind aus unterschiedlichen Gründen möglich.
Paul Watzlawick hat darauf hingewiesen, dass man immer kommuniziert, weil jedes Verhalten in einer Begegnung Kommunikation ist.
Noch mehr als normale menschliche Kommunikation kann die Kommunikation mit dem göttlichen Du gestört sein. Auch das Gespräch zwischen Jesus und seinem göttlichen Vater verläuft nicht immer störungsfrei, wie sich am Kreuz besonders drastisch zeigt:
"Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?" [Mt 27,26]
In Schmerz und Leid fühlen wir unsere Individualität besonders extrem. Ich leide. Du stehst daneben. Der Liebende hält die Hand. Aber ich muss den Weg allein gehen. Die Ohnmacht ruft nach dem Eingreifen einer absoluten Macht, die Schmerz und Leid beendet.
Ist Gott selbst ohnmächtig?
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