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Versuchung der Macht

Weil ich klein und schwach war, beugte er sich zu mir herab und lehrte mich im Verborgenen die Dinge seiner Liebe.

Therese von Lisieux 

Neues Rathaus Leipzig. Zeichen von Bürgerstolz.
Neues Rathaus Leipzig. Zeichen von Bürgerstolz.

Notizen zum Credo 4

Gott ist allmächtig? Absurd! Widerstand wächst in mir. Ich fühle mich von Gott getragen, beschützt, begleitet. Aber die Welt - wer schützt sie? Ist die Welt nicht allein ihrem blinden Schicksal ausgeliefert? Kriege, Konflikte, Vertreibungen. Die Theodizee drängt sich in den Vordergrund: wäre es nicht besser für jeden Gott, nicht zu existieren als all das Leid zuzulassen?


Doch wieder einmal ist es nötig, hinter das Bild zu blicken. Das absolute Du kann nicht mit unseren Worten erfasst werden. Das Bilderverbot bleibt gültig. 


Ach, Du Theologe. Magst Du nicht lieber schweigen?

Ich würde ja... aber ich kann nicht anders.   


Ich höre in den Grund meiner Seele: warum stört Dich persönlich der Begriff Allmacht? 

1988. Die Uhr steht still. Im Wohnzimmer liegt mein Vater. Ich gehe zum Fenster. Unten kommen meine Geschwister. Blicke treffen sich. Sie sagen mehr als Worte. Keiner spricht. Am Weg von der Schule nach Hause wäre ich beinahe mit einem Leichenwagen kollidiert. 

Ich bin 17. Mein Vater wurde 55. Nun ist er tot. 

Wenn Du, o Gott, da gewesen wärest, wäre er nicht gestorben. Er betete täglich. Er glaubte fest an Dich. Er hatte noch so viel vor. Wo ist diese Allmacht?


Jeder von uns ist verletzt. Jeder hat enttäuschte Hoffnungen und Wünsche. Jeder von uns trauert um geliebte Menschen. Ist nicht dieses Leben ein Wohnhaus grimmer Schmerzen? Wir leiden, weil wir lieben. Leidet auch Gott mit uns? Oder ist all das nur Geschwätz?


Von der Macht reden zunächst jene, die für sich oder die eigene Gruppe Macht brauchen. 

Von der fehlenden Macht Gottes spricht der Mensch in der Krise und im Leid. 

Die Macht Gottes auf seiner Seite vermutet der Sieger im Kampf. 

Die strafende Macht Gottes fordert derjenige, der seine Niederlage als Unglück empfindet. 

Die Macht Gottes preist die Frau, die sich von Gott gesegnet und gesehen fühlt. 

Von Gott verflucht fühlt sich die Frau, deren Sohn auf Abwege geraten ist.

Der Macht Gottes misstraut, wer unter der Macht der Menschen leiden musste. Stürzt Gott wirklich die Mächtigen vom Thron oder ist ihm alles egal?

Gott bevorzugt niemanden, der ihm schmeichelt. Gott interessiert sich dafür, ob wir die Liebe weitergeben, die er in unser Herz gelegt hat. Die Liebe ist das wichtigste Gebot. Oder haben wir inzwischen ein Herz aus Stein?


Von der Macht spricht der Vertreter des Römischen Reiches zum gefangenen Jesus:

"Redest Du nicht mit mir? Ist Dir nicht klar, dass es in meiner Macht steht, Dich freizugeben oder dich ans Kreuz nageln zu lassen?" [Joh 19,10] 

Pilatus unterliegt der Illusion menschlicher Macht. 

Er ist damit nicht allein. 

Aber Pilatus trifft es besonders hart. Seit 2000 Jahren muss Pilatus ohnmächtig ertragen, dass sein Name  in jedem Gottesdienst zur Angabe einer Zeitenwende dient. Hat der stolze Vertreter des Römischen Reiches, von dem es nur noch Ruinen gibt, sich so seinen ewigen Ruhm vorgestellt? Wohl eher nicht. 

Jesus bleibt ruhig:

"Du hättest keine Macht über mich, wenn sie Dir nicht von oben gegeben worden wäre" [Joh 19,11]


Als Gefangener bekennt Jesus, dass er ein König ist. Sein Reich ist nicht von dieser Welt, aber es stimmt: er ist ein König! 

Als das Volk noch auf seiner Seite war, hätte er die Macht ergreifen können. Sie hätten ihn zum König gemacht. Aber da entzog er sich. [Joh 6,15]

Schon in der Wüste wollte ihm der Teufel weltliche Macht anbieten. Aber Jesus lehnte ab! [Mk  1,12f./Mt 4]]

Die jüdischen Schriften hadern mit Gottes fehlender Macht. Sein erwähltes Volk ist meist besetzt, die Führungsschicht vertrieben. Der Tempel immer wieder zerstört. Dabei erfüllt doch Gottes Macht den Erdkreis. Ihm gehört alles. Warum aber dann Leid und Not? Warum sind die Menschen böse und machen sich gegenseitig das Leben schwer?

In der Zeit der größten Not war die Hoffnung, dass der Messias kommt und das Volk befreit. Rom ist inzwischen gefallen. Aber hat Gott daran einen Anteil?

Hey Römer! Der seltsame Wanderprediger, der unter Eurer Herrschaft am Kreuz ermordet wurde, ist auch nach zwei Jahrtausenden noch Gesprächsstoff. Und es spricht viel dafür, dass seine Ideen noch aktuell sind, wenn keiner mehr über Euer Imperium Romanum spricht, von dem heute nur noch Ruinen existieren 

 

Ihr Christen und Ihr Herrscher, die Ihr seine Worte in den Mund zu nehmen wagt, sollt wissen, dass Gott selbst die Mächtigen vom Thron stürzt. Staub seid ihr alle und zu Staub werdet Ihr werden - so wie auch ich und alle, die heute gegeneinander kämpfen. 

Ihr Mächtigen eines sterbenden Planeten, der in der Sonne verglühen wird und die Ihr Eure temporäre  Macht mit Jesu Worten zu legitimieren wagt, hört genau zu, wie Jesus Macht versteht und ausübt. 


Gekreuzigt unter Pontius Pilatus. Ich werde mich nochmal extra mit dem Römer befassen. 

Plötzlich empfinde ich Genugtuung. Boshaft lächle ich. Das hat Pilatus nun davon, dass er Jesus gekreuzigt hat. Gut gemacht, Kirche!  


Therese von Lisieux schaut mich traurig an. Ernst-Ulrich, Du weißt, dass Jesus Pilatus liebt. Jesus mag alle Blumen auf seiner Wiese. 


Ach Therese, Du große kleine Heilige!

Sollen wir Feuer vom Himmel regnen lassen, um sie zu strafen? [Lk 9,54] So reagierten Jesu Jünger auf ein unerfreuliches Erlebnis in einem Dorf. Gott soll mit Macht kämpfen. Und seine Jünger möchten gerne dabeisein als Sieger, die aktuell zwar eine Niederlage erleben, aber später herrschen werden. Doch Jesus empfahl, einfach weiterzuziehen.

Petrus will nicht, dass Jesus nach Jerusalem geht, das könnte gefährlich werden. [Mt 16,23] Doch Jesus tat, was er im Innersten tun musste. Jesus folgt einer Macht, die die Ewigkeit im Blick hat. Das ist für uns, die wir an Erfolg im Leben interessiert sind, schwer zu ertragen.

Adonai ist in Israel schon früh Ersatzbegriff für den eigentlichen Namen Gottes, der Moses am brennenden Dornbusch offenbart wird: JHWH... [Ex 3]

Übersetzungen sind immer gefährlich und so bin ich gerade bei diesem Wort etwas zurückhaltend. Doch der Name drückt das zentrale Wesen dessen aus, wie göttliche Nähe zu allen Zeiten erfahren wurde:

„Das ist mein Name für immer und so wird man mich nennen in allen Generationen.“, erfährt Moses am brennenden Dornbusch. 

Michaeliskirche
Michaeliskirche

Das Credo ordnet die Allmacht Gottes dem Vater zu, der ersten göttlichen Person der Trinität. Allmächtig ist Gott, bevor er Himmel und Erde erschafft. Aber Gott unterwirft sich der Schöpfung und ihren Gesetzen aus Liebe. Gott geht in die Ohnmacht. 

Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. Aber ohne Gottes Bereitschaft, in die Ohnmacht zu gehen, hätten wir nicht in die Geschichte eintreten können. 

Ohne die Ohnmacht des göttlichen Du wären die Vielen nicht zu Bewusstsein gelangt. Gott ist Beziehung und will Beziehung schenken. Im Du der Schöpfung begegnet sich Gott neu. Im Bewusstsein der Vielen geht Gott selbst in die Fremde und sucht den Weg zurück in die Heimat. In Jesus sucht er diejenigen, die sich verirrt haben. Und die Kirche ist das Feldlazarett an den Kreuzungen des Lebens. Nicht immer kommt sie ihrer Aufgabe nach.


 Der Herr der Geschichte aber lässt uns nicht allein. Die Donau erzählt auch am Rand der Ukraine von der Quelle im Schwarzwald.


Erklärt das alles? Nein! Es ist meine Perspektive. Im Dialog gewachsen. In der Wüste getestet.

Wie Hiob muss auch jeder von uns seine eigene Antwort finden. Die Freunde von Hiob schwiegen sieben Tage. Schweigen ist oft die beste Antwort. 


Ohnmacht führt zu Kreativität und Tatendrang – oder Lethargie und Kapitulation.


Die Ohnmacht ist eine Eigenschaft, die wir normal nicht mit Gott verbinden. Die Ohnmacht ist etwas, was Gott von sich selbst fordert, um den Menschen frei zu machen. Die Ohnmacht der Ohnmächtigen ist eine Erfahrung, gegen die wir mit unserem Dienst als Christen stehen sollen. Unser Werkzeug ist nicht die Macht der Herrschenden, sondern die Liebe des göttlichen Kindes in der Krippe. 

Nie dürfen wir verlangen, dass ein anderer Mensch in die Ohnmacht geht, um unsere Macht durchzusetzen.  Es geht darum, die eigene Ohnmacht zu ertragen und andere zu ermächtigen, die unter Macht leiden. 

Das scheint nicht so kompliziert. Doch die Christen ringen seit 2000 Jahren mit der Frage, wie sie mit Macht und Ohnmacht umgehen. Und auch ich muss immer neu überlegen, wie dieser Weg der Ohnmacht gelingen kann. 

Michaeliskirche Leipzig
Michaeliskirche Leipzig

Ich bin der ich bin. Ich war und werde sein. Ich legte den Funken, der Dich erschuf. Ich werde Dein treuer Begleiter bleiben, wenn alles verloren scheint. Ich werde Dich in ewiger lebendiger Erinnerung bewahren, wenn Dein Körper zu Staub zerfällt. Du bist Teil einer Geschichte, die lange vor dem Urknall begann und über das Ende des Universums Bestand hat. Ich bin im leisen Säuseln des Windes und in den unerwarteten Umbrüchen der Geschichte. Ich begleitete Deine Eltern, als sie vertrieben wurden, führte Dich zu dem Ort, wo Du jetzt bist und bewahre die Menschen, die ich in Dein Herz geschrieben habe. Und jetzt geh! 

Adonai ist die Macht, die nicht von außen kommt, sondern aus dem Innersten. Deshalb kann sie eigentlich nicht gefahrlos ignoriert werden. Sie ist das befreiende Wort, die Veränderungen im Verborgenen beginnen lässt und am Ende die scheinbar Mächtigen vom Thron stürzt und den Schwachen aufhilft. Sie ist die Macht, die den Funken anhaucht und Flammen neu entzündet. Wer im Innersten entflammt ist von diesem göttlichen Funken, geht verwandelt durch die Welt. Und diese Macht definiert Erfolg radikal neu. Gelungenes Leben bemisst sich nicht nach Titeln und Reichtum, Bekanntheit, äußerer Schönheit, Lebensdauer oder Followern auf Facebook und Tiktok. Entscheidend sind jene Momente, in denen wir liebten - gerade dort, wo es schwer ist, zu lieben. Vielleicht, ohne zu wissen, dass wir damit einen göttlichen Auftrag erfüllten. 

Der Blick auf Moses zeigt auch: die Macht tritt gegenüber unserem Willen als diskussionsfreudiges, aber selbstbewusstes DU auf. Ich kann Einwände bringen, ich kann über Jahrzehnte andere Wege gehen, aber Adonai lässt nicht locker, wenn ein wichtiger Auftrag mein Ja erfordert. Nur extrem selten zeigen Menschen jene Offenheit, in der Maria dem Auftrag begegnet. Meist ist die erste Reaktion eher ein Nein, bei Jona sogar eine kinoreife Flucht. Wenn ich bedenke, in welche Schwierigkeiten göttliche Aufträge führen können, kann ich das gut verstehen. Und doch verändern gerade jene Menschen die Welt, die ihrem innersten Ruf folgen. 

Und jetzt geh!



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