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Das göttliche Projekt

Als das Wort Gottes erklang, da erschien dieses Wort in jeder Kreatur, und dieser Laut war das Leben in jedem Geschöpf.

Hildegard von Bingen

Neues Rathaus. Leipzig.
Neues Rathaus. Leipzig.

Notizen zum Credo 5

Unter der sichtbaren Welle des kaum greifbaren Ich gestaltet der Ozean des Unterbewusstseins unsere Schritte. Hier irgendwo begegnen uns Worte, Bilder und Melodien. Träume erzählen davon.

Am Anfang war das Wort. So beginnt das Evangelium nach Johannes.

Es gibt Worte, die als Grundmelodie mein Leben begleiten und prägen. 

Durch welche Stimmgabel wird der Urton angestimmt?

Am Anfang stehen Träume.

Der Traum geht der Umsetzung voraus. 

Es beginnt mit einem Traum. Menschen träumten davon, Informationen rasch über große Distanz zu schicken. Die Realisten schüttelten den Kopf. Sie blieben oft genug ein Leben lang in dem Tal, in dem sie aufgewachsen waren. 


1833 traf Ada Lovelace auf den unglücklichen Witwer Charles Babbage. Als seine Frau starb, schrieb seine Mutter über ihn: "Dass seine Geistesverfassung sich rasch bessert, kann ich nicht erwarten. Seine Liebe war zu groß, und der Mensch, dem sie galt, ihrer allzu würdig" Acht Kinder hatte er mit ihr. 1827 waren kurz hintereinander zwei seiner Kinder und seine Frau gestorben. Bereits in seiner Kindheit war er häufig krank. Seine Ideen waren wunderlich. Aber Ada Lovelace erkannte in ihnen bereits alle Elemente eines universellen Computers, der neben Zahlen jede Art von Zeichen verarbeiten konnte. Lovelace Ideen übertrafen das Anliegen von Babbage. Heute gilt sie als Pionierin der Informatik.    


Und nun sitze ich in Bad Nenndorf und tippe diesen Text in einen kleinen Kasten. Ich kann diesen Text später auch veröffentlichen. Ich muss dafür nicht mein Bett verlassen. 

Und doch war ich innerhalb weniger Stunden von Leipzig nach Bad Nenndorf gefahren. 

Vor zwei Jahrhunderten wäre ich Tage lang unterwegs gewesen. Vor zwei Jahrhunderten hätte ich die Erde vielleicht als 20jähriger verlassen. 

Dialysemaschine. Wunder der Technik
Dialysemaschine. Wunder der Technik

Am 24. April 1990 wurde das Hubble-Teleskop mit der Space-Shuttle-Mission STS-31 gestartet. Es war das erste von vier Weltraumteleskopen. Das Teleskop sollte eine bessere Auflösung und einen tieferen Blick in die Entstehung des Weltalls bieten. 

Ein Reporter des Bayerischen Rundfunks kommentierte die Bedeutung des Teleskops mit den Worten:"Das Wunder wird Dank Hubble kleiner werden."

Meine Mutter hörte dies am Radio und entgegnete trocken: "größer". 

Dieses Wort begleitete mich durch die Jahrzehnte. 

Ja, das Wunder der Natur wird nicht dadurch kleiner, dass die Grundlagen besser verstanden werden. Warum auch?

Meine Existenz ist ein Wunder. Natürlich ist meine Existenz seit Jahrzehnten auch das Ergebnis von menschlicher Neugierde und Forschung. Die Maschine, die mein Blut dreimal pro Woche reinigt, ist ein Ergebnis von Wissenschaft. 

Menschen haben nicht aufgegeben, wenn der Weg schwierig wurde, um anderen mehr Zeit zu schenken. Die Liebe will, dass Du bist. 

Auch Liebe kann erforscht und erklärt werden. 

Und doch gibt es keinen Grund, dies alles selbstverständlich zu nehmen. Es bleibt Wunder. 

Man kann natürlich auch so leben als wäre all das nur ein Tanz der Moleküle am Rande des Nichts. 

Der alles geschaffen haben soll entzieht sich der Forschung. Auch Glaubende leben oft genug so, dass Gott sie stören würde, wenn es ihn tatsächlich geben würde. Der Glaube an Gott ist kein Ruhekissen. Der Glaube an den Schöpfer drängt zur Gestaltung und Verwandlung des Ich und der Welt. 

Der alles geschaffen hat, ist nicht auffindbar. Sein Fehlen stört wenige in Leipzig. Kann das sein? 

In ihm bewegen wir uns, leben wir und sind wir. Für Paulus ist das selbstverständlich. 

Und doch erkennt auch Paulus, dass der Schöpfer in seiner Schöpfung nicht so eindeutig greifbar ist. Die göttliche Weisheit scheint menschlicher Logik nicht zu folgen. Sie wird von den Weisen und Klugen nicht erkannt. [1 Kor 1,26]

Die christliche Theologie führte zu Spuren des Götttlichen in Kunst und Kultur. Die Kirchen sind in den alten Bundesländern - trotz Skandalen - ein Machtfaktor. 

Regensburg hat viele Kirchen. Aber Gott hat manchmal keine Lust auf die Gottesdienste der Glaubenden, vermutete eine Freundin.


Man kann Sonntag für Sonntag in die Kirche gehen und täglich beten. Doch Gott würde den Alltag vieler Glaubenden stören, wenn er ins Leben tritt.

Mein Glaube aus Kindheit und Jugend überstand viele Krisen - sowohl biographische als auch kirchliche. Gottes Existenz blieb so selbstverständlich wie meine eigene Existenz. 

Bücher, in denen Gottes Existenz bestritten wurde., habe ich gelesen. Ja, ich habe versucht, seine Nicht-Existenz zu denken. Ruhe fand meine Seele allein im Vertrauen auf die Grundmelodie des Lebens, die mich forderte.


Trotzdem ließen  mich die gesellschaftlichen Ereignisse nicht unberührt. Die Stellung der Frau in der Kirche, der Umgang mit Sexualität, das Priesterbild, geistlicher und sexueller Missbrauch beschäftigten und beschäftigen mich. Gleichzeitig weiß ich um das ehrliche Bemühen vieler Menschen in der katholischen Kirche, in der christlichen Ökumene und in den Religionen, Gottes Nähe glaubhaft spürbar zu machen. Und dann gab es Atheisten, die mehr von Gott verstanden hatten als jene, die sich als gläubig bezeichneten. 

Hinter den Bildern von Gott entdecke ich Spuren, die für mich auf das absolute Du hinweisen. 

Am Weg durch Zeit und Raum taste ich mich zum Ursprung zurück. Ich folge einer Grundmelodie, die mir seltsam vertraut ist. Meine Texte versuchen, darauf zu reagieren. Manchmal entsteht dabei Neues und Unerwartetes. Die Schöpfung regt zur kreativen Schöpfung an. 

Wenn ein Lebewesen fähig ist, etwas Neues zu erschaffen, dann ist das Kreativität. 

Kreativität begegnet uns nicht nur  beim Menschen, sofern wir unter Kreativität die Fähigkeit verstehen, auf Situationen und Herausforderungen auf einem unvorhersehbaren Weg zu antworten. 

Viel lernte ich von den Katzen, die mich in meiner Kindheit begleiteten. Ist Gott eine ängstliche Katze, die sich versteckt?

Viel lerne ich von den zwei Hunden, die bei mir leben. Ist Gott trotz allem treu, weil er in uns sein Rudel sieht?

Getragen von der Liebe will ich anderen Liebe schenken. 

Getragen von Liebe leide ich an einer Welt, die nicht beschützt und begleitet ist. 

Getragen von Liebe leide ich, wenn ich selbst nicht die passende Antwort auf Leid finde. 

Getragen von Liebe schmerzen mich die falschen Reaktionen, mit denen ich andere verletzte und ihren Weg erschwere.

Es gibt nicht den einen richtigen Weg. Doch eines glaube ich zu wissen: damit das Du sich selbst finden kann, muss ich dem Du Raum geben und loslassen. 

Damit das Du zu Bewusstsein kommen kann, muss ich dem Du Raum schaffen. 

Damit das Du den Raum selbst gestalten kann, muss ich dem Du Zeit schenken und Zeit lassen. 

Raum und Zeit entstanden nach aktueller Forschung aus dem geräuschlosen Urknall. 

Unvorstellbar. 

Vielleicht ist dieses Universum Teil von vielen Universen?

Vielleicht gibt es andere Wesen mit Bewusstsein auf anderen Planeten? 

Der Mensch ist schöpferisch. 

Der Mensch zerstört Schöpfung. 

Schöpfung ist Dialog. Auch wenn ein kreativer Mensch allein im Zimmer ist, verarbeitet er Impulse aus seiner Umwelt. 

In den Texten des Alten Testaments ist Gott bei der Schöpfung nicht allein. Die Weisheit spielt vor seinem Thron. Sie ist die Tochter Gottes. [Spr 8,22-31]. 

Es ist ein ernstes Spiel. In der Weisheit fügt sich das Chaos zu einem sinnvollen Gesamtkonzept. Scheinbar gibt es die Möglichkeit, die Weisheit zu übersehen. Sie versteckt sich. Schade. Die Weisheit gibt gute Tipps zur Lebensführung. Und die Weisheit bewahrt vor Torheit. [Spr 7,26-27]

Die Welt könnte perfekt sein mit der Weisheit...doch wir wissen, dass diese Welt nicht perfekt ist. Vielleicht muss diese Welt sogar unperfekt sein?

Eine der Grundregeln des Universums ist, dass nichts perfekt ist. Perfektion gibt es nicht einfach … ohne Unvollkommenheit würden weder Sie noch ich existieren.

Stephen Hawking 


Unvollkommenheit führt zur Notwendigkeit, neue Wege auszuprobieren. Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation kann zu Innovationen führen. 

Unvollkommenheit kann natürlich auch zur Resignation führen. Wir sind zu oft in Situationen gefangen, die aussichtslos erscheinen. 

Zu viele Glaubende versuchen zu selbstsicher Antworten zu geben, die jeder nur in sich selbst finden kann. 

Glaube ist immer zuerst Aufforderung, die eigene Unvollkommenheit zu gestalten. 

Wir sind alle Suchende. 

Deshalb war die schweigende Präsenz für Hiob die wichtigste Tat der Freunde. 

Die Versuchung, in biblischen Texten nur die Heilung zu sehen, ist groß. Der Blick auf Hiob zeigt, es kann auch sein, dass zunächst der Tod siegt:

Deine Söhne und Töchter aßen und tranken im Hause ihres Bruders, des Erstgeborenen, 19 und siehe, da kam ein großer Wind von der Wüste her und stieß an die vier Ecken des Hauses; da fiel es auf die jungen Leute, dass sie starben, und ich allein bin entronnen, dass ich dir's ansagte.  (Hiob 1,18)

Die verwandelnde Kraft des Glauben beginnt dort, wo Menschen erkennen, dass sie in jeder Situation getragen sind. Diese Menschen spüren: der Tod hat nicht das letzte Wort, sondern das Leben. 


Dem ersten Wort, das die Welt in die Realität rief folgte eine Symphonie. Oft scheint die Dissonanz zu dominieren, doch manchmal ahne ich die Melodie, die am Ende zum Festmahl ruft. 

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