Der offene Himmel

„Ich weiß einen, der ein Festmahl geben wird!“ „Wer denn?“, fragte Ida. Michel schlug noch einmal mit der Faust auf die Kiste. „Ich!“, sagte er. Und dann erzählte er, wie es werden sollte. Ein Festmahl sollte es werden, dass es nur so krachte, denn nun sollten alle Menschen aus dem Armenhaus von Lönneberga hierher nach Katthult kommen, und zwar auf der Stelle!

Astrid Lindgren, Michel muss mehr Männchen machen

Autobahnkirche Brumby. Jakobs Traum.
Autobahnkirche Brumby. Jakobs Traum.

Notizen Zum Credo 6

Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Mit diesen Worten beginnt Genesis. In den ersten zwei Kapiteln werden zwei Erzählungen verwoben, die uns vom Beginn der Welt berichten. Die Schöpfungsberichte von Jahwist und Priesterschrift bieten unterschiedliche Theorien ihrer Zeit. Gemeinsamer Bezugspunkt ist, dass die Welt, in der wir leben, von Gott getragen ist. 

Beides wird am Anfang vom absoluten Du geschaffen: Die Erde ist  der Ort des Menschen,der Tiere und der Pflanzen. Was aber ist der Himmel?

In der englischen Sprache gibt es für den Himmel zwei Begriffe: Sky bezeichnet den blauen Himmel mit Wolken. Heaven steht für den spirituellen Zustand, den Glaubende als Ort Gottes erleben. 

Wir reden heute von keinem Ort in der Welt, wenn wir im religiösen Kontext von "Himmel" sprechen. Natürlich war die biblische Vorstellung noch anders. Jesus fährt nach seiner Auferstehung scheinbar konkret nach oben. Doch zugleich werden die Jünger aufgefordert, nicht dort nach Jesus zu suchen. [Apg 1,11]  


Vielleicht ist es angemessener von einem Zustand zu sprechen. Mit dem Tod enden Raum und Zeit. Wir kommen in die ewige Zeitenstille zurück, in der wir unseren Ursprung haben. Wir sind nur Gast auf Erden. Wir richten uns hier oft genug so ein als ob wir die Eigentümer wären. Doch wir leben hier nur eine kurze Zeit. Auch die Reichen und Mächtigen sterben. Keiner entzieht sich der Macht der Vergänglichkeit. Wir sind gezwungen loszulassen. Das ist besonders schmerzhaft, wenn wir ein Du loslassen müssen, das wir in unser Herz geschrieben haben. Doch am Ende müssen wir uns selbst loslassen. Unsere Heimat ist im Himmel. [Phil 3,20-21]. Wem soll dann all das gehören, was wir angesammelt haben? 


Immer wieder erleben wir in unserem Leben Spuren dieses Himmels. Wir atmen durch und fühlen uns angekommen. Doch es sind nur Rastplätze am Weg nach Hause. Unterwegs treffen wir andere. Gemeinsam sind wir auf dieser seltsamen Reise durch Raum und Zeit. 

Das Reich Gottes bricht dort an, wo wir uns dem Du liebevoll zuwenden. 

„Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt“ [Mt 11,5]. 

Im Wirken Jesu wird deutlich, dass unsere Zuwendung zum Du dazu beiträgt, das Reich Gottes wachsen zu lassen. 

Im Wirken Jesu wird zugleich deutlich, dass es ihm nicht um weltliche Macht geht [Joh 6,15]. Der Weg in den Himmel führt über die Ohnmacht [Lk 24,26]. Das ist ein ungewohnter Gedanke für alle, die ein machtvolles Eingreifen Gottes erflehen, um Leid und Unrecht zu beseitigen. 

Wenn das Du zu sich selbst finden soll, braucht das Du einen eigenen Raum. Die Erde ist dieser eigene Raum. Der Himmel ist nicht von dieser Erde gelöst. Er ist in die Geschichte der Welt verwoben. Mitten in unserem Alltag kann der Himmel sichtbar werden. Mitten in der Begegnung von zwei Menschen spüren wir manchmal den Hauch der ewigen Zeitenstille. 

Wir müssen nicht an einen besonderen Ort gehen, um den Himmel zu finden. 

Trotzdem gibt es natürlich Zeiten und Orte, da wir uns dem Himmel nahe fühlen. Auch mein Leben ist von Orten geprägt, an die ich gerne denke.


1995. Benediktbeuern war plötzlich leer und kalt. Das Kloster der Salesianer Don Boscos hatte ich das erste Mal nach dem Abitur 1992 besucht. In der kleinen Kapelle des Aktionszentrums war ich mir selbst und dem absoluten Du näher gekommen. 

Drei Jahre später spürte ich nichts mehr davon. 


Bei meinem ersten Besuch in Benediktbeuern beeindruckte mich der schöne Innenhof. Das Aktionszentrum war von Leben erfüllt. Menschen begrüßten mich herzlich. Die Sonne lächelte am blauen Himmel. Die Benediktenwand bietete die perfekte Kulisse. 


Drei Jahre später war eigentlich strukturell alles gleich. Doch alles wirkte müde und grau. Im Hof sass eine Gruppe von Menschen, die mich nicht weiter beachtete. Und ich selbst war wahrscheinlich auch verschlossener. 


Ich mag Benediktbeuern immer noch. In einem bestimmten Augenblick meines Lebens öffnete sich dort der Himmel. Doch ich mag den Ort wegen der Erinnerung an den Moment, am Ort selbst wurde ich nie heimisch. 


Michaeliskirche. Leipzig
Michaeliskirche. Leipzig

Im Sommer 1998 traf ich in Leipzig ein. Martina holte mich ab. Wir fuhren mit der Straßenbahn zum Nordplatz und gingen von der Haltestelle direkt in ihre Wohnung. Nach einem unvergesslichen Abend schlief ich ein und erwachte am nächsten Morgen. Mein Blick ging erst jetzt zum Fenster. 

Vor mir erhob sich die Michaeliskirche in ganzer Schönheit als wäre sie gerade erst da hingestellt worden. 

Die Morgensonne tauchte das Gemäuer in strahlendes Licht. 

Ich musste an die Inschrift über dem Altarraum in der Regensburger Schottenkirche denken:

 

Ecce thronus fulgescit regis et agni 

Deutsch: Hier ist aufgerichtet der Thron Gottes und des Lammes. 

 

Klar, aus dieser Assoziation spricht der katholisch sozialisierte Theologe. Andere hätten hier schlicht gesagt: Beeindruckend! Der Ort gefällt mir.


Ich muss an eine Perikope in der Bibel denken:

Jesus besteigt einen Berg. Mit dabei drei Personen, die besonders eng mit Jesus verbunden sind: Petrus, Johannes und Jakobus. [Mt 17,1-9] 

Berge bieten neue Perspektiven. Dem anstrengenden Aufstieg folgt die beeindruckende Aussicht, zumindest, wenn das Wetter mitspielt. 

Selten wird so deutlich der Himmel sichtbar wie bei dieser Szene. Himmel [Heaven] bricht durch den Himmel [Sky].

Langeoog am Abend des 2. Juni 2020
Langeoog am Abend des 2. Juni 2020

Was sieht man auf diesem Bild?

Am 2. Juni 2020 stand ich am Strand der Insel Langeoog. Die Sonne war gerade dabei, unterzugehen. In den Wolken erschien plötzlich das Gesicht und der Oberkörper einer Frau.

Sehen Sie nicht? Ich schon. 

Der moderne Mensch neigt dazu, schnell zur Rationalität überzugehen. Das ist auch gut so. Es ist nicht gut, der harten Wirklichkeit zu entfliehen. Und doch sind diese Erfahrungen ein Gruß aus der Ewigkeit in die Zeit - für den, der sich darauf einlässt. 

"Wir wollen drei Hütten bauen!", bricht es aus Petrus hervor. Gerade hat er gesehen, wie Jesus sich mit Moses und Eliah unterhielt. Die beiden bedeutsamen Männer aus der Geschichte Israels bleiben nicht. Plötzlich ist Jesus wieder allein. "Auf ihn sollt ihr hören!", mahnt eine Stimme.  

Nein, es klappt nicht, den Augenblick festzuhalten. Und Beziehungen sind nicht tragfähig, wenn sie sich nicht im grauen Alltag bewähren. Und doch tragen uns besondere Erlebnisse und Orte durch den Schmerz und die Last des Alltags.

In katholischen Kirchen brennt vor einem schmuckvollen Kasten (Tabernakel) eine rote Lampe (Ewiges Licht). Sie versucht, einen Ort zu bestimmen, an dem Gott präsent ist. Tatsächlich ist Gott doch überall? Vielleicht aber ist der Glaubende hier besonders offen für Gott? 

Wer den Schrank öffnet, findet dort Hostien.


Jesus wurde dadurch bekannt, dass er mit den Menschen Brot teilte und Wein trank. Auch mit jenen, die keinen guten Ruf hatten. Und so versprach er, dass er immer real präsent ist, wenn Menschen zu seinem Gedächtnis Brot und Wein teilen. 

Geheimnis des Glaubens!

Christen haben sich zerstritten über die Frage, wie Jesus da ist. Im ökumenischen Dialog ist man sich dazu nahe gekommen. Vielleicht hilft für die letzten Schritte, zu begreifen, dass die Aufforderung Jesu garnicht so kompliziert ist:

 

Das hier bin ich, mit Fleisch und Blut. Meine historische Geschichte. Meine Liebe zu allen Menschen. Meine Bereitschaft, für meine Botschaft bis ans Kreuz zu gehen und meinen Körper zerbrechen zu lassen.

 

Tut das zu meinem Gedächtnis. 

Teil das Brot! Trinkt den Wein! Geht zu den Menschen, die Eure Nähe und Euer Wort brauchen und sagt ihnen, dass Leid und Tod nicht das letzte Wort haben! Denn die Liebe ist stärker als der Tod.

Autobahnkirche Exter. Jesus zieht Petrus aus dem See.
Autobahnkirche Exter. Jesus zieht Petrus aus dem See.

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