Die Welt erkennt ihn nicht

Setzen wir uns auf den letzten Platz – niemand wird sich mit uns streiten.

Therese von Lisieux 

Notizen zum Credo 9

Jesus. 

In zwei Jahrtausenden haben sich viele Bilder von dieser historischen Person gebildet. Manche zweifeln ja sogar, dass er existierte. Ich nicht.


Warum fällt es mir so schwer, über Jesus zu reden?

Weil Du Dir in über 50 Jahren selbst ein Bild geformt hast. 

Das mag sein. Es ist schwer, diese Bilder loszulassen. 

Für wen hälst Du mich?

Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. 

Ach

Stimmt das nicht?

Es ist erwartbar. Du kennst die Perikope, wo ich das fragte.  

Was möchtest Du stattdessen hören, Herr? 

Liest Du eigentlich Deine Texte? 

Ungern. Ich habe Angst, dass sie falsch verstanden werden. Am liebsten würde ich sie wieder löschen. Aber ich weiß, dass sie manchem helfen. Also, warum wirkst Du genervt, wenn ich Dich Herr nenne? 

Ich verzichte darauf, dass Menschen mich Herr nennen. Ich habe Feuer auf die Erde geworfen und will, dass es brennt. Du nennst mich mit Recht Herr, aber wichtiger ist, dass der Wille meines himmlischen Vaters erfüllt wird. 

Ist das eigentlich ein echter Dialog oder ist das nur in meinem Kopf. 

Warum "nur"? Das ist natürlich in Deinem Kopf. Aber warum sollte das bedeuten, dass es kein echter Dialog ist?


Wernigerode
Wernigerode

Natürlich hat jeder, der dies liest, eigene Bilder von Jesus im Kopf. Schon viele haben es unternommen, von dem zu erzählen, was damals in Galiläa und Jerusalem passiert ist. Es gab viele Hoffnungen und dann endete all das am Kreuz. Viele mussten damals qualvoll am Kreuz sterben. Jesus war ein Opfer unter vielen. Diese Hinrichtung diente den Römern als Abschreckung, um Widerstand klein zu halten. Lange Zeit war deshalb der Fisch Symbol der Christen. Niemand kam auf die Idee, ein Kreuz als Symbol zu wählen. 


Die Jünger waren zunächst geschockt und schlossen sich ein. Sie dachten, Jesus sei der, welcher Israel erlösen würde. [Lk 24,21]. Nein, dieses Ende hatten sie nicht kommen sehen. Eigentlich hatten sie sogar versucht, es zu verhindern. Wäre Jesus bloss nicht nach Jerusalem gegangen. Aber Jesus blieb stur. Er ging seinen Weg. 

Deinen Tod, o Herr verkünden wir!

Rückblick auf einen Menschen, auf den Hoffnungen ruhten. Es ist nur meine Perspektive. Behalte, was hilft. 

Marienquelle Leipzig
Marienquelle Leipzig

Jesus kommt nach Nazareth. Da ist er aufgewachsen. Man kennt ihn. Man hat gehört, dass er als Wanderprediger durch die Gegend zieht. 

Nun spricht er. Das klingt ja alles ganz gut, aber das passt nicht zum Bild und zur eigenen Erfahrung mit Jesus. Das ist doch der Sohn von diesem Zimmermann. Man munkelt, Joseph habe das Kind nur angenommen, um Maria zu schützen. Er sieht ja auch ganz anders aus als Joseph. 

Jesus spürte die Ablehnung. Er konnte hier nicht so überzeugend auftreten. Lukas überliefert, die Lage sei eskaliert. Man habe ihn aus der Stadt getrieben hin zu einem Berg. Jesus blieb aber ruhig und ging weg. 

Warum ein Mensch so handelt, wie er handelt, ist uns oft unverständlich. Und wir sind besonders irritiert, wenn wir eigentlich glaubten, den Menschen gut zu kennen. Was tun? Ein Gespräch kann helfen, dachte sich wohl die Mutter Jesu, die offensichtlich auch nicht wusste, wohin das führen wird: 

 

Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben vor dem Haus stehen und ließen ihn herausrufen. (Mk 3,31)

 

Jesus aber kam nicht. Kein Dialog. Kein einfühlsames Wort. Es wirkt kalt und abweisend. Ein Gespräch ist halt nicht immer die Lösung. 

 

 Manchmal ist uns der Mensch, den wir lieben, in dem fremd, was er tut. Manchmal denken wir völlig zu Recht, dass er umkehren sollte, weil er in eine Sackgasse läuft. Manchmal gelingt es uns trotz aller Mühe nicht, den geliebten Menschen aus der Sackgasse rauszuholen. Die Liebe erträgt das, lässt den Geliebten nicht fallen und vertraut darauf, dass am Ende alles gut wird...spätestens in der ewigen Zeitenstille. 

 

Perspektivwechsel: Es gibt Situationen im Leben, in denen ich entscheiden muss, ob ich Erwartungen anderer erfülle oder meinen eigenen Weg gehe. Das ist besonders hart, wenn ich mit meiner Entscheidung Menschen enttäusche, die ich liebe.  So eine Entscheidung kann zu Entfremdungen und Spaltungen führen. Solche Entscheidungen bringen vielleicht Unfrieden und das Ende von Beziehungen. Doch es ist wichtiger, dem treu zu bleiben, was man im Innersten will als Wege zu gehen, um andere kurzfristig glücklich zu machen. 

 

Die Mutter Jesu erträgt die Abweisung und steht trotzdem später unter dem Kreuz... und erfüllt damit am Ende das Kriterium dafür, Jesu Verwandte zu sein: 

 

Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.

(Mk 3,35)

 

Jesus ging seinen Weg mit traumwandlerischer Sicherheit. Oft genug missverstanden von Verwandten, Aposteln und anderen. Mein Weg kennt nicht diese Sicherheit. Und den richtigen Weg für einen anderen zu kennen, ist erst recht unmöglich. Das Leben geht meist auf Seitenwegen. Und in mancher Sackgasse öffnet sich plötzlich eine Tür, mit der keiner gerechnet hätte. Leben ist eben Veränderung. Deshalb macht es Sinn, auch in schlechten Phasen optimistisch zu bleiben. 

 Tu, wozu es Dich im Innersten drängt! 

Leipzig Gohlis
Leipzig Gohlis

Mehr Erfolg hatte Jesus in Kafarnaum. Dort konnte er erfolgreich predigen und helfen. Auch wenn sich seine Eltern Erfolg vielleicht anders vorgestellt hatten. Sie kommen und wollen ihn holen. Doch Jesus entzieht sich allen Bindungen, die ihn von seinem Weg abbringen. Sein Blick ist konsequent auf das absolute Du gerichtet, das er zärtlich Abba nennt. Jesus fühlt sich bedingungslos geliebt und liebt bedingungslos. Seine  Nähe wirkt befreiend. 

Marienquelle Leipzig
Marienquelle Leipzig

Wer liebt, blickt anders auf die Welt. Wer liebt, sieht durch die Regeln auf den Menschen. Wer liebt, lebt in einer eigenen Welt. Wer liebt, sieht Menschen anders an. Die Liebe gibt die Freiheit, anderen auf neue Weise zu begegnen. Die Liebe ist leise. Sie hat es nicht nötig, zu revoltieren, sie verändert die Welt im Kleinen. Im Innersten weiß sie, dass alle Regeln und Gesetze vorläufig sind. Lass die Regeln. Erfülle sie, aber sieh durch sie hindurch auf das Wesentliche. Aus der Perspektive der ewigen Zeitenstille zählen die Augenblicke, in denen wir uns dem anderen zuwenden, nicht jene, in denen wir Gesetze befolgten. Deshalb betont Jesus, dass er nicht gekommen ist, das Gesetz aufzuheben. Sein Maßstab, Gesetze zu erfüllen, ist die Liebe...die aber nichts mit romantischer Verliebtheit zu tun hat. Die Liebe beginnt ja gerade da, wo es schwer wird, die andere Perspektive auszuhalten. 

Wer ein verhärtetes Herz hat, fürchtet sich vor dieser Perspektive. Die Angst, loszulassen, verhärtet das Herz. Das Gesetz verspricht dem Sicherheit, der sonst alles zu verlieren scheint. Wer liebt, lässt los. Wer liebt, hält nur dann und so lange fest, wie der andere festgehalten werden möchte. Deshalb ist auch Eifersucht keine Liebe. Sie will festhalten, was nur freies Geschenk sein kann. "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen." Da ist keine harmonische Liturgie unter Gleichgesinnten gemeint, sondern gemeinsames Ringen im Vertrauen auf Jesu Gegenwart.

 

Das ist die enge Pforte, durch die viele nicht gehen wollen oder können: sich dem anderen auch dann zuzuwenden, wenn man seine Überzeugung nicht teilt.

Die Liebe ist da, wo Menschen einsam und verlassen sind, wo sie an der Gegenwart leiden, verstoßen, verletzt im Sturm. 

Liebe ist bereit, am Ende sogar das Leben loszulassen...nicht immer hat sie die Kraft, an das Happy End zu glauben, von dem die Bibel erzählt. (Mt 25)

Jesus handelt und spricht anders. Er enttäuscht Erwartungen.

Wie geht man mit Enttäuschungen um?

 

Die Menge findet seine Worte unverständlich und geht. 

Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt auch ihr weggehen? [Joh 6, 67] 

Die Jünger verstehen nicht, aber sie bleiben:

 

Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. [Joh 6,68]

 

Auch die Jünger enttäuschen. Sie möchten Feuer auf ein ungastliches Dorf regnen lassen, sie möchten den besten Platz neben Jesus, sie hindern Kinder daran, zu Jesus zu kommen. Petrus selbst leugnet, Jesus zu kennen. 

 

Es ist insofern nicht verwunderlich, dass auch heute die Jünger Jesu und seine Kirche enttäuschen. 

 

Wer sich vom Unverständnis der Jünger und der Kirche nicht irritieren lässt, begegnet Jesus. Bei Christen und Kirche finden wir den Schatz, aber sie sind nicht der Schatz. Sie sind eher der Acker, in dem ein Schatz verborgen ist. (Mt 13,44) Leider ist dieser Acker manchmal in erschreckend schlechtem Zustand. Es lohnt sich trotzdem, in ihrer Mitte den Schatz zu suchen. 

Die Not der Menschen ist groß. Jeder trägt seinen Ballast. Sorgen um die eigene Zukunft und die Zukunft der Menschen auf diesem Planeten scheinen zu wachsen. Manchen scheint es, dass die Arbeit immer mehr wird und gleichzeitig immer weniger am Konto bleibt. In den Familien streiten Eltern untereinander und mit den Kindern. Trotz aller Fortschritte in der Medizin drohen neue Pandemien und Krankheiten. Und dann gibt es ständig Menschen und Institutionen, die das Leben des einzelnen durch Regeln, Gesetze und Vorschriften zusätzlich erschweren. 

Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben.

Bitte? Menschen als Schafe? Hilflos? Ohne eigenen Willen? Einfach einem Hirten nachlaufend?

Manchmal verhindern unsere Projektionen den Blick auf das, was ursprünglich gemeint war. 

Erwähnte ich schon, wie wichtig es ist, Bilder loszulassen?

Im Kapitel 9 Matthäusevangelium wendet sich Jesus in unterschiedlichen Situationen Menschen zu. Er heilt einen Gelähmten, er hält Mahl mit unbeliebten Zöllnern, er heilt eine Frau, bringt ein Mädchen zurück ins irdische Leben, heilt zwei Blinde und einen Stummen und heilt auch sonst weitere Kranke. 

In diesem Kontext sucht Jesus nun nach Mitarbeitern: 

Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter.  Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende. [Mt 9,38]

Die zwölf Jünger werden mit einer anspruchsvollen Jobbeschreibung losgeschickt:

Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus.

Es ist eine ehrenamtliche Tätigkeit. Der Blick geht nicht auf weltliche Vergütung, sondern auf die Ewigkeit. 

Die Tätigkeit der Jünger hängt von den Menschen ab. Wenn es in einer Stadt nicht klappt, sollen die Jünger einfach gehen. Es gibt weder Feuer vom Himmel noch andere Strafen, die verhängt werden dürfen. 

Es ist ein machtvolles Handeln an ohnmächtigen Menschen, das die Niedrigen erhöht und durch eigene Ohnmacht besonders glaubwürdig wird.

In Mt 12,18 - 21 erfahren wir, dass Jesus selbst Vorbild dieses Weges ist:

Siehe, das ist mein Knecht, den ich erwählt habe, mein Geliebter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat; ich will meinen Geist auf ihn legen, und er soll den Völkern das Recht verkündigen.  Er wird nicht streiten noch schreien, und man wird seine Stimme nicht hören auf den Gassen; das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen, bis er das Recht zum Sieg führt;  und die Völker werden auf seinen Namen hoffen.«

Jesus bietet uns an, diesem Weg zu folgen. Arbeitsort ist da, wo wir leben. Und oft genug erfahren wir, wie die Sorge gegenseitig ist. Denn wir alle sind auf der Suche nach Befreiung vom Ballast des Alltags. Es ist kein Weg, der zu weltlichem Erfolg und Einkommen führt, aber ein Weg der tatsächlich die Welt langfristig verändert. 

Es ist eine Aufgabe im Dienst am Du. Es ist keine Machtposition. Es gibt auch keine Platzreservierung im Himmel, wenn wir die Aufgabe gut gemacht haben. 


Jesus will weder sich noch die Jünger noch die Kirche retten. Ihm geht es um das verlorene Schaf. Ihm geht es um eine gespaltene und zerrissene Welt. 

Wenn wir im Leben alles getan haben, was nötig war, um dem Du zu helfen, dann war das einfach der Sinn unserer Existenz. 

Was Gott daraus machen will, liegt nicht in unserer Hand. 

Aber wir können sicher sein: es kommt noch was!

Am Ende siegt das Leben über Tod und Leid!

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