Zeitenstille Ohne Liebe

Für Julia und alle, die Angst vor der Hölle haben

Eigentlich wollte ich keinen Text über die Hölle schreiben. Mein Gottesbild und mein Glaube kennen keinen Ort ewiger Qualen. 

Theologisch sympathisiere ich mit der Lehre von der Apokatastasis [Allversöhnung]. Sie entspricht der Zielvorstellung der Bibel, dass Jesus Christus am Ende uneingeschränkt regiert. [Phil 2, 9-11]

Leider gibt es aber eine mächtige Tradition, die sich diese Herrschaft nur vorstellen kann, wenn Gegner gequält, vernichtet oder zumindest in die Wüste geschickt werden. 

Damit erinnert das himmlische Friedensreich an die Vorstellung des Imperium Romanum, die befriedeten, indem sie Kriege führten und andere unterwarfen, die sich nicht fügten.

Und wo Religion weltliche Macht hatte, wurde und wird diese Macht zu oft genutzt, Gegner zu verdrängen und zu töten. Statt Gottes Urteil abzuwarten fühlen sich religiöse Menschen berufen, andere zu verurteilen und zu bestrafen. 

Wenn Du mir nicht folgst, kommst Du in die Hölle. 


Und so folge ich hier der Bitte einer Freundin, die unter der Vorstellung leidet, dass es diese ewige Verdamnis geben könnte. 

Natürlich weiß ich, dass es im Christentum die Vorstellung von Teufel und Hölle gibt. Ein Blick in das Internet zeigt, dass immer wieder Menschen zwischen Gottes Gerechtigkeit und der Vorstellung einer Hölle keinen Widerspruch sehen. 

Der Katechismus der Katholischen Kirche kennt die Hölle als "Zustand der endgültigen Selbstausschließung aus der Gemeinschaft mit Gott und den Seligen


So betrachtet ist die Hölle Ausdruck einer Wahlfreiheit. Freilich gibt es Zweifel, ob der Mensch tatsächlich frei handelt oder ob er nicht oft Spielball seiner genetischen Veranlagung ist. 

Der Theologe Karl Rahner sieht zwar die Hölle als reale Möglichkeit, hält es aber für möglich, dass die Hölle leer bleibt. 

Auch der aktuelle Papst spricht über den Teufel. 

Papst Franziskus personifiziert das Böse und sieht im Teufel eine konkrete Person, die als Gegenspieler Gottes auftritt. Gleichzeitig weiß auch er, dass es ein ungleicher Kampf ist. 

Das Christentum ist monotheistisch, nicht dualistisch. Das Gute siegt. Das steht schon fest, auch wenn wir täglich erfahren, dass Böses in der Welt geschieht: 


„Gott hat den Teufel besiegt, und zwar am Kreuz! Aber du weißt doch, wie das mit Drachen ist – mit dem Teufel ist das wie mit einem großen, schrecklichen Drachen. Auch wenn der getötet wird: Er hat einen langen Schwanz, und auch wenn er tot ist, schlägt der Schwanz noch hin und her.“

Gott ist die Liebe. [1 Joh 4,16]

Die Liebe ist stärker als der Tod. Wer geliebt wird, bleibt in Ewigkeit getragen. 

Die Hölle ist ein Raum ohne Liebe. 

Niemand liebt. Niemand wird vermisst.

Hölle ist ein Zustand der erstarrten Rollen. Beziehung eröffnet neue Geschichten. 

Das Ich existiert und erkennt sich überhaupt erst im Du. Der Tod des Du beraubt uns der einmaligen Perspektive, in der Ich gesehen wurde. 

Widerspricht nicht die Hölle der Grundidee eines liebenden Gott? Ist eine Existenz ohne Liebe überhaupt denkbar?

In Ihm bewegen wir uns, leben wir und sind wir. [Apg 17,28]

Es ist Liebe, dass wir existieren. 


Du lässt die Menschen zurückkehren zum Staub / und sprichst: «Kommt wieder, ihr Menschen!» [Ps 90,3]

Menschen erleben Situationen ohne Liebe. Sie erleiden Ohnmacht, müssen Dinge tun und erleiden, die ihre Würde verletzen. Ich wende mich von Menschen ab, die mir schaden und Menschen wenden sich von mir ab, denen ich nicht gut tue. 

Ich kann nicht allen nahe sein. Manchmal enttäusche ich Erwartungen. Ich hoffe, andere können dort lieben, wo ich scheitere. 

Manche reagieren auf enttäuschte Erwartungen mit Wut. 

Der Mensch sehnt sich nach Rache und Vergeltung. 

Die Hölle ist ein Ort unumkehrbarer Abwesenheit von Liebe. 

Menschen, die unter den bösen Taten anderer leiden, rufen nach der Hölle. Sie wollen nicht mit dem Übeltäter im Himmel sein. 

Der Täter soll die Konsequenz seines Handelns spüren. Ewig. Ewig?

Wir haben wenige Jahrzehnte Zeit, in dieser Welt Böses zu tun. Die Strafe dafür soll ewige Qual sein? Wie kalt und herzlos müssen Menschen sein, die mit der Vorstellung glücklich sind, ewig im Himmel zu jubeln, während der verlorene Bruder leidet?

Wirst Du nicht doch lieber in die Hölle gehen, um den Verlorenen zu retten? Genau das erwartet doch Jesus von uns. Im Jenseits aber soll plötzlich der Egoismus zählen. Hauptsache, ich bin gerettet?

Jesus Christus erzählt von den vielen Wohnungen im Himmel. [Joh 14,2-6] Vielleicht können wir uns etwas Raum lassen. Wir leben Wand an Wand. Wir müssen nicht jeden lieben, aber wir sollten zulassen, dass andere in Gottes Auftrag lieben und geliebt werden.


Das Glaubensbekenntnis der Christen bekennt Gott und den Himmel. Im großen Glaubensbekenntnis von Nizäa und Konstantinopel gibt es kein Bekenntnis zur Hölle. 

Im apostolischen Glaubensbekenntnis, das in der Liturgie verwendet wird, folgt auf den Tod Jesu diese Notiz:

hinabgestiegen in das Reich des Todes.


In der Tradition wurde diese Stelle schärfer übersetzt und gedeutet:


hinabgestiegen in die Hölle


In der byzantinischen Liturgie zur Osternacht wird die Folge dieser Höllenfahrt deutlich:


„Heute ruft der Hades und stöhnt:

Besser wäre mir gewesen, ich hätte den Sohn der Maria nicht aufgenommen.

Denn da er zu mir gekommen ist, hat er meine Herrschaft vernichtet

und die ehernen Tore zertrümmert;

die Seelen, die ich einst besaß, hat er, Gott, auferweckt."

Die Liebe geht bis in die Gottverlassenheit, um selbst denen neue Hoffnung zu bringen, die gegen die Liebe gehandelt haben. 

In dieser Welt fehlt uns oft genug das Bewusstsein dafür, was der andere braucht, um seinen Weg in der Welt fortsetzen zu können. 

Das beginnt im Alltag bei kleinen Dingen. 

Uns fehlt die Fähigkeit, zu erkennen, wo wir gebraucht werden. Wir lieben in unserer kleinen Welt und verschließen die Augen vor den vielen, die wir bereits mit einem Lächeln glücklich machen könnten. Wir sehen, was andere falsch machen und ignorieren, was wir selbst zum Unglück beitragen. 


Wenn wir unsere eigenen blinden Flecken erkennen, gelingt uns der Umgang mit der Blindheit anderer leichter. 

Religiöse Menschen glauben zu oft, dass sie verstanden haben. Wer glaubt, alles zu sehen und zu verstehen, wird es schwer haben, andere Perspektiven zu erkennen: 


Jesus antwortete ihnen: Wenn ihr blind wärt, hättet ihr keine Sünde. Jetzt aber sagt ihr: Wir sehen. Darum bleibt eure Sünde. [Joh 9,41]


In einem dramatischen Gleichnis wird die Folge eines lieblosen und achtlosen Umgangs mit dem Du dargestellt. Vor der Tür eines reichen Mannes stirbt Lazarus, ein armer Mann. Lazarus kommt zu Abraham und wird von ihm getröstet. Auch der reiche Mann stirbt und landet im Hades. 

In einem Dialog mit Abraham versucht er, Hilfe von dem armen Mann zu bekommen. Doch die zwischenmenschliche Hilfe scheint unmöglich. Eine trennende Kluft liegt zwischen Himmel und Hades. 


Die Jünger waren über seine Worte bestürzt. Jesus aber sagte noch einmal zu ihnen: Meine Kinder, wie schwer ist es, in das Reich Gottes zu kommen! Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt. Sie aber erschraken noch mehr und sagten zueinander: Wer kann dann noch gerettet werden? Jesus sah sie an und sagte: Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich. [Mk 10, 24-27]


Für Gottes Liebe ist alles möglich.

Sie sucht nach jenen, die sich in der Dunkelheit dieser Existenz in Raum und Zeit verirrt haben. 



Im Tod erkennen wir, wo wir blind für andere geblieben sind. Wir erkennen, dass wir bedingungslos von Liebe getragen waren. Wir sind aus Geist geboren. Unser Ich wird durch die Begegnung mit Eltern, Nachbarn, Erziehern und vielen anderen geformt, aber das Ich verdankt sich allein dem absoluten Du.


Wenn es um die Liebe geht, ist Jesus Christus extrem anstrengend: 


Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden. Und wenn ihr nur denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Dank erwartet ihr dafür? Das tun auch die Sünder. [Lk 6,32-33]


Der sicherste Weg, nicht verurteilt zu werden, ist eigentlich ganz einfach: 


selbst nicht verurteilen:


Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden. Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden. [Lk 6,37]


Natürlich gibt es Menschen, die wir nicht ertragen. Es ist nötig, sich von Menschen zu trennen, wenn der gemeinsame Weg zur Hölle wird. Es gibt eine Trennung aus Liebe. Es ist nötig, sich von Menschen zu trennen, die mich von meinem Weg abhalten. Manchmal räumlich, manchmal mental.

Jesus trennt sich radikal von Petrus, als dieser Jesus daran hindern will, nach Jerusalem zu gehen und dort zu leiden. [Mt 16,23] Der eigene Weg ist wichtiger als die Vorstellung anderer über den Weg, den ich gehe. 

Nicht immer ist es möglich, Menschen auszuweichen, die Böses tun. Unsere Freiheit liegt auch dann in unserer Reaktion. 

Stehen wir auf der Seite des Ohnmächtigen oder stärken wir die Macht der Gewalt? 

 Vielleicht gibt es andere, die den Zugang zum Du leichter finden als Ich. Ich kann mich trennen und trotzdem lieben. 


Manchmal muss ich mich von der Gemeinschaft der Glaubenden trennen, um Gottes Spur zu folgen. Die Kirche ist nicht das Heil. Die Kirche erzählt von den Spuren des Heils. Aber manchmal sind Gläubige blinde Blindenführer. 

Es gibt Christen, die anderen mit der Hölle drohen, um den eigenen Willen und den Willen der eigenen Gruppe durchzusetzen. Vielleicht sind gerade jene Christen besonders in Gefahr, die Hölle zu schmecken, die andere in die Hölle stossen wollen. 

Therese von Lisieux konnte keiner mit der Hölle drohen: 


 Wenn ich auch alle nur möglichen Verbrechen begangen hätte, wäre mein Vertrauen doch genauso groß. Ich fühle es, diese ganze Masse von Sünden wäre wie ein Wassertropfen, den man auf glühende Kohlen fallen läßt.

Die Bibel kennt die Vorstellung der ewigen Hölle nicht. 


Im Alten Testament bezeichnet Scheol den Ort, zu dem sowohl Gerechte als auch Ungerechte nach ihrem Tod gehen. Die Septuaginta verwendet als griechische Übersetzung das Wort Hades. Die Autoren des Neuen Testaments greifen diesen Begriff auf. 

Der Vorstellung einer Hölle kommt der griechische Begriff Tartaros nahe. Dorthin schickt Gott rebellische Engel: 


Gott hat auch die Engel, die gesündigt haben, nicht verschont, sondern sie in die finsteren Höhlen der Unterwelt verstoßen und hält sie dort eingeschlossen bis zum Gericht. [2 Petr 2,4]

Anders als der Täufer Johannes sieht Jesus Christus seine Aufgabe nicht darin, anderen mit Bestrafung zu drohen. 

Sein Evangelium ist Ermutigung, sich dem Du ohne Angst zuzuwenden. So ist auch das Kriterium im Jüngsten Gericht die Frage, was ich dem Du Gutes getan habe. [Mt 25, 31-46]


 Seine Jünger wollen auf Böses mit Bösen reagieren, doch Jesus hält sie zurück: 


Als die Jünger Jakobus und Johannes das sahen, sagten sie: Herr, sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet? Da wandte er sich um und wies sie zurecht. [Lk 9, 54-55]


Im Lauf der Geschichte des Christentums erlagen Christen zu oft der Versuchung, sich mit Gewalt durchzusetzen. Auch andere haben Gewalt angewendet, aber der Anspruch der Christen ist nun einmal anders. Wir können nicht Böses tun unter Verweis darauf, dass auch andere Böses tun. 

Die Welt muss aus dem tödlichen Kreislauf ausbrechen und schafft es doch nicht. Jeder von uns tut sich schwer damit, auf das Böse in der Welt besonnen zu reagieren. Christen könnten das Salz der Erde sein, wenn sie dort lieben, wo niemand mit einer liebevollen Reaktion rechnet. 


Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute! [Röm 12,21]

Die Begegnung mit Menschen, die anderen vorsätzlich schaden, sollte so geschehen, dass der Mensch wieder neu mit der Macht der Liebe in Berührung kommt, aus der auch der Übeltäter entstanden ist. 

Wir sind gemeinsam in der Dunkelheit. Der Gedanke, dass wir alle Sünder sind, reflektiert die Tatsache, dass uns allen entscheidende Informationen in dieser Welt fehlen. 

Unsere Aufgabe kann nicht sein, anderen mit Strafe oder Hölle zu drohen. Unsere Aufgabe ist, Spuren der Liebe in der Welt zu hinterlassen. 

Jeder Mensch verdankt sein Ich dem göttlichen Funken. Mancher vermag nicht zu lieben, weil der Boden trocken ist, auf dem er die irdische Zeit verbringt. Es ist dann vielleicht unsere Aufgabe, den Boden aufzugraben und mit Liebe zu düngen, damit er mit der Liebe in Berührung kommt und zu lieben lernt. [Lk 13,8]. 

Wir sollten nicht die Rolle des Anklägers annehmen, der bei Gott die Verurteilung des Schuldigen verlangt. Der Ankläger wird am Ende gestürzt. [Offb 12,10]

Es ist unsere Aufgabe, das geknickte Rohr zu schützen, damit es nicht bricht.

Es ist unsere Aufgabe, dem Türhüter zu widersprechen, wenn draußen die törichten Jungfrauen anklopfen und nicht hereingelassen werden. [Mt 12, 1-13]

Es ist unsere Aufgabe, an der Schwelle der Ewigkeit zu warten bis der verlorene Sohn kommt, damit das Fest beginnen kann. 


Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.

Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu. Und er sagte: Schreib es auf, denn diese Worte sind zuverlässig und wahr. Er sagte zu mir: Sie sind in Erfüllung gegangen. Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Wer durstig ist, den werde ich umsonst aus der Quelle trinken lassen, aus der das Wasser des Lebens strömt. [Offb 21,4-6]


Natürlich weiß ich, dass der Text weitergeht:


Aber die Feiglinge und Treulosen, die Befleckten, die Mörder und Unzüchtigen, die Zauberer, Götzendiener und alle Lügner - ihr Los wird der See von brennendem Schwefel sein. Dies ist der zweite Tod. [Offb 21,8]


Daher noch einmal:

Es ist nicht unsere Aufgabe, zu urteilen, sondern zu lieben. 

Es ist nicht unsere Aufgabe, Gründe für eine Verurteilung zu sammeln, sondern in jedem Du Spuren der Liebe zu entdecken. 

Es ist nicht unsere Aufgabe, die Macht der Liebe zu beschneiden. 

Wir sind Verteidiger des Du, nicht Ankläger. 


Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich (zu anderen) gütig bin? [Mt 20,15]


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