„Je lauter unsere heutige Welt wird, je tiefer scheint Gott zu schweigen. Schweigen ist die Sprache der Ewigkeit. Doch Lärm geht vorüber.“
Gertrud von le Fort
Notizen zum Credo 13
Ein Fremder mitten unter uns wird zum Begegnungsort mit dem absoluten Du. Die entscheidenden Begegnungen können in der Straßenbahn oder im Supermarkt geschehen. Erst im Rückblick verstehen wir. Der Weg zu Gott ist nicht so weit.
In ihm bewegen wir uns, leben wir und sind wir. [Apg 17,28].
Mit diesen Worten wendet sich Paulus am Areopag an die Athener. Paulus zitiert hier einen griechischen Philosophen: Aratus von Soloi. Im Prolog von Phaenomena preist der Stoiker mit diesen Worten Zeus, den obersten Gott der griechischen Götterwelt. Das Lehrgedicht beschreibt in 1154 Hexametern den Sternenhimmel.
Um die Sterne zu sehen, müssen wir die Einsamkeit suchen. In den Lichtern der Stadt können wir keine Sterne sehen. Um Gott zu spüren, müssen wir ebenfalls in die Einsamkeit.
Die Einsamkeit ist nicht automatisch Ort der Begegnung mit dem Göttlichen. Zunächst ist die Einsamkeit Ort der Versuchung.
Viele ertragen die Stille nicht. Den Stürmen in uns weichen wir gerne aus. Und doch kommen wir dem Ursprung und Ziel unserer Existenz erst nahe, wenn wir die Stürme zum Schweigen bringen und die Dinge der Welt loslassen.
Als Kind wurden mir Krankenhäuser Orte der Einsamkeit. Ich hätte diesen Lernort des Lebens gerne gemieden.
Jesus dagegen zog sich oft bewusst in die Einsamkeit zurück.
Dort tanzt er mit dem Du. Anschließend kehrt er in den Alltag zurück und lehrt uns, mitzutanzen. Wir versuchen ja, im Takt zu bleiben, aber zu oft stolpern wir und treten uns gegenseitig auf die Füße.
Die israelische Sängerin Bat-Sheva Ofra Haza singt 1988:
"Selbst wenn die Pforten der Reichen sich schließen werden, die Pforten des Himmels werden immer offen bleiben."
Es ist die Vertonung eines hebräischen Gedichts von Rabbi Shalom Shabazi aus dem 17. Jahrhundert.
Wir brauchen nicht viel und halten doch so viele Dinge fest. Wir haben Angst, loszulassen und finden doch im Herzen alle Dinge, die wir brauchen. Selbst viele Dinge in unserem Herzen brauchen wir nicht. Sie belasten uns und stehen unserer Begegnung mit dem Du im Weg. [Mt 15,19]
Jesus teilt mit uns die Perspektive der Stadt. Die Hektik und die bunten Lichter blockieren den Blick zu den Sternen und den Blick in unser Herz.
Jesus bewahrt die Erinnerung an die Sterne und ließ sich nicht von den Lichtern der Stadt ablenken.
Ich wiederhole mich bewusst:
Die Spuren des absoluten Du sind nicht immer offensichtlich. Und doch war sich Jesus seiner Herkunft vom Du bewusst. Er hatte ein Gespür dafür, wo Gott gerade wirkt. Er sah besser als andere, wo er das Wirken Gottes im Du durch eigenes Handeln verstärken konnte.
Die Sicherheit, mit der Jesus durch das Leben ging, ist eigentlich nur verständlich, wenn Jesus ein besonderes Wissen darüber hatte, dass sein Ursprung im absoluten Du war. Es erleichtert den Weg in der Dunkelheit, wenn man weiß, dass man nicht allein geht.
Jesus wusste um diese Begleitung.
Als Menschen ahnen wir immer wieder, dass wir beschützt und begleitet sind.
An dieser Stelle ahnen wir zudem, warum das Nachdenken über Jesus zu einer unerwarteten Konsequenz führt.
Jesus hat im Herzen eine Erfahrung, die nicht zu seiner menschlichen Natur passt.
Das Credo wiederholt sich auch:
Gott von Gott
Licht von Licht
Wahrer Gott vom wahren Gott.
Dreimal kreist das Credo um die göttliche Natur des Jesus von Nazareth.
Jesus Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott.
Auch ich kreise nun in drei Artikeln um die Begriffe und nähere mich mit Worten dem, was Menschen aus den Texten und der Erfahrung gewonnen haben.
Dabei muss auch vom Ich gesprochen werden. Suche nach Gott ist immer Suche aus der eigenen Perspektive.
Ich kann versuchen, andere Perspektiven zu begreifen, aber ich betrachte die Welt immer aus meiner Perspektive und aus meiner eigenen Geschichte. Ich verstehe nur, was an meine Geschichte anknüpft. Ich bleibe blind, wenn es keine Brücke zu Deiner Erfahrung gibt. Manchmal müssen wir dann in getrennten Räumen bleiben. Lieben ist manchmal leichter, wenn genug Raum zwischen dem Ich und dem Du bleibt.
Erde und Weltall sind Lernort der Liebe zum Du. Irgendwann werden wir vielleicht anderen Lebewesen mit Bewusstsein von anderen Planeten begegnen. Werden wir bis dahin gelernt haben, selbstlos zu lieben?
Oder wird unser Egoismus und Hang zur Gewalt unsere Existenz als Menschen lange vorher beenden?
Die Christen sind Salz der Erde, wenn sie der Welt eine Alternative zu Hass und Gewalt vorleben und sich konsequent an die Seite des Machtlosen stellen. Der Weg dahin ist immer noch weit, auch wenn es beeindruckende Menschen gibt, die zeigen, wie bedingungslose Liebe klappen kann.
Erst im Tod wird sichtbar, was jetzt nur rätselhafte Schatten in der Dunkelheit sind.
Der Blick auf das Credo begann damit, unsere klassische Vorstellung vom Ich loszulassen. Wir brauchen das Ich nicht, um die Mechanismen in unserem Gehirn zu erklären. Wir befassen uns nur deshalb mit dem Ich-Bewusstsein, weil jeder von uns davon überzeugt ist, ein Ich zu haben. Ein verwirrendes Bild von Hirnarealen erzeugt eine Vorstellung vom Ich. Es gibt keinen Punkt, an dem sich das Ich aufhält. Wir sind eine Symphonie aus 100 Milliarden kommunizierenden Nervenzellen. Und doch ist da ein Ich, das sich immer neu formt und durch Zeit und Raum eilt.
Der Blick auf das göttliche Du setzt ebenfalls bei der Erfahrung an. Und so zitiere ich mich nochmal selbst:
Wir beschreiben in Bildern ein unbeschreibliches Geheimnis. Wir sind Blinde, die Blinden von der Sonne erzählen, weil sie an einem Sommertag die Wärme fühlten. Es kann auch eine Heizung gewesen sein. Es geht um eine Spurensuche nach dem letzten Geheimnis. Wir werden uns nicht damit zufrieden geben, wenn man uns schlüssig nachweist, dass es die Sonne nicht gibt und wir nur zu nah an der Heizung waren. Wir suchen weiter.
Gott suchen heißt, darauf vertrauen, dass das Leben stärker ist als der Tod. Der Tod hat nicht das letzte Wort. Der glaubenden Seele ist das Trost, nicht Vertröstung, wenn sie selbst in Krisen an dem absoluten Du festhielt, dessen Wärme sie in Schlüsselmomenten der Existenz spürte.
Die Christen halten am jüdischen Glauben an den einen Gott fest. Wir reden also jetzt nicht davon, dass neben Gott nun ein zweiter Gott aufgetaucht wäre. Am Ende des Credo bleibt der eine Gott.
Und doch verändert der Blick auf Jesus Christus den Blick auf Gott. Es entsteht mit der christlichen Gemeinschaft eine neue Religion. Erst langsam lernen wir, dass wir uns selbst fremd werden, wenn wir die Entfremdung zur jüdischen Wurzel zulassen, aus der Jesus lebte.
Jede Religion deutet die Spuren, die auf das absolute Du hinweisen.
Jede Religion braucht ihren eigenen Raum und doch brauchen wir Orte der Begegnung, um uns gegenseitig von dem zu erzählen, was wir als Suchende entdeckt haben.
In die Dunkelheit geworfen fehlt uns die intuitive Sicherheit, mit der Jesus auf Gott hin wächst, in dem er am Anfang war. Im Dialog finden wir die Spuren des absoluten Du. Wir brauchen uns gegenseitig, um das Mosaik zusammen zu erahnen.
Christen wagen, in Bildern von Gott zu sprechen. Wir reden von Bildern und müssen doch immer wieder die Bilder loslassen. Gott bleibt der ganz Andere.
Wir sind sein Ebenbild, weil wir ebenso auf Beziehung angelegt sind wie Gott selbst.
Gott ist die Liebe.
Gott findet diese Liebe bereits in sich selbst. Er musste nicht die Welt schaffen, um ein Du zu finden.
Die Ohnmacht, in die Gott geht, eröffnet nun uns den Raum, selbst Erfahrungen mit Beziehung zu machen.
Gott ist in die Ohnmacht gegangen, als die Welt mit ihren Naturgesetzen entstand.
In Raum und Zeit kommt Gott selbst wieder zu sich und nimmt dabei uns mit. Es gibt eine wechselvolle Geschichte zwischen dem absoluten Du und dem Menschen.
Die Entwicklungsaufgabe von Liebe ist, dem Du Raum zu geben und loszulassen.
Gott selbst ist kein monolithischer Block.
Er gibt und empfängt.
Jesus Christus selbst empfängt und gibt weiter.
Selbstlos.
Wer sich bedingungslos geliebt fühlt, kann bedingungslos lieben.
Das ist der Markenkern der Nachfolge Jesu:
Euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen. [Lk 6,27]
Paulus unterstreicht diesen Gedanken:
Lass Dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute. [Röm 12,21]
Das übersteigt oft genug unsere Fähigkeiten. Wir sind noch damit beschäftigt, unser Ich immer neu aus der Vielfalt der Impulse in uns und um uns zu formen.
In der Liebe ahnen wir, dass auch andere in der Dunkelheit nach einem Weg tasten. Die inneren Stürme verhindern den Blick zum Du. Andere werden zur Bedrohung eines Ich, das wir am Ende ohnedies loslassen müssen.
Vom Menschen und von meiner eigenen Erfahrung her nähere ich mich dem Geheimnis. [nach Karl Rahner]
Der Mensch wächst in seinem Alltag über sich hinaus. Gerade dort, wo ich Grenzen und Ohnmacht erfahre, beginnt für mich die Erfahrung des absoluten Du. Die Offenheit für das göttliche Du im Alltag schärft die Sinne, um in der Not den Spalt in der Tür nicht zu übersehen. Das absolute Du reicht mir die Hand, damit ich nicht im Strudel der Ängste versinke.
Mir geht es oft genug wie Petrus. Ich steige mutig aus dem Boot und probiere neue Dinge aus. Dann aber werde ich unsicher. Stimme und Beine versagen.
Wer im glücklichen Alltag das Vertrauen auf den letzten Grund einübt, findet eher in der Krise die Kraft, die Ohnmacht zu ertragen und zu gestalten.
Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Wolkenbruch kam und die Wassermassen heranfluteten, als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten, da stürzte es nicht ein; denn es war auf Fels gebaut. [Mt 7,24-25]
Glauben ist nicht statistisch. Es gibt eine Entwicklung.
Manchmal erlebte ich in Krisen, dass der Glaube meiner Kindheit nicht wirklich trug. Mein Wunsch, Theologie zu studieren, wuchs 1988 nach dem Tod meines Vaters. Der Alltag in Leipzig war dann nach dem Studium meine tatsächliche Schule des Glaubens. 2020 war mein Glaube anders. Er trug mich anders. Trotzdem bitte ich das Du, mich nicht nochmal in Krisen geraten zu lassen.
Manchmal erlebe ich, dass ich tatsächlich nicht überlegen muss, was die passenden Worte sind. Worte kommen, die nicht meine Worte sind.
Manchmal aber kommen Worte, die den guten Weizen mit dem Unkraut ausreißen.
Denn ich begreife mein Handeln nicht: Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse. [Röm 7,15]
Die Erfahrung der Jünger mit Jesus war, dass er durchgehend aus der Beziehung mit dem Du lebte und handelte.
Maximus Confessor blickte im 7. Jahrhundert auf die Szene am Ölberg. Jesus steht kurz vor der Verhaftung. Es wird klar, dass einer seiner Jünger ihn verraten wird. Jesus betet:
Abba, Vater! Alles ist Dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir. Aber nicht, was ich will, sondern, was Du willst, soll geschehen. [Mk 14,36]
Als leidensfähiges Wesen wünscht sich Jesus, dass er dem Leid ausweichen kann. Dieser menschliche Wille wird aber relativiert durch das intuitive Bewusstein der eigenen Verwurzelung im absoluten Du.
Zu oft gleiche ich den schlafenden Jüngern am Ölberg. Ich verpasse entscheidende Augenblicke. Und doch begleitet mich Gott auch dann auf dem Weg, den ich gewählt habe, wenn eigentlich ein anderer Weg besser gewesen wäre.
Immer wieder handelt Jesus machtvoll an den Menschen, die ihm auf der Straße begegnen. Seine Nähe ist heilsam, weil er Menschen in ihre innerste Mitte führt. Er weiß intuitiv, wann er handeln kann und wann er loslassen muss.
Uns rät er, die eigene Kraft nicht zu überschätzen:
Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen? [Mt 16,26]
Der Sohn geht in die Ohnmacht. In der Dunkelheit bleibt ihm das Bewusstsein der Herkunft. Er entdeckt in den Bildern und Traditionen das absolute Du und findet sich selbst neu. Mitten in der Dunkelheit wird er uns gleich und bleibt doch stets im Du verwurzelt.
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