Lichtgeschwindigkeit

Die Liebe ist ein nie verlöschendes Feuer.


Hildegard von Bingen

Notizen zum Credo 14

Materie, Energie und Information sind die Grundlagen von allem, was ist. 

Materie, Energie und Information können sich nie schneller ausbreiten als das Licht. Wo Geschwindigkeiten auftreten, die scheinbar schneller als das Licht sind, ist dafür vor allem die Ausdehnung des Raums verantwortlich. 

Wir nehmen das Licht im Raum je nach Wellenlänge in unterschiedlichen Farben war. An der Grenze zwischen Regen und Sonne bricht sich das Licht als Regenbogen, sofern wir im richtigen Winkel das Zusammenspiel betrachten. 

Der Regenbogen ist Deutung der Wirklichkeit durch unser Gehirn. 

Wir erkennen mit unserem Auge Licht im Bereich von rot, grün und blau. Durch Kombination nimmt das Auge andere Farben wahr. Und doch wissen wir heute, dass wir nur einen Teil des Spektrums wahrnehmen. 

Wir sehen die Welt anders als Tiere. 

Um den Alltag zu bewältigen, reicht aber, was wir wahrnehmen.  

Wir tasten uns durch die Dunkelheit. Wie oft denke ich, etwas verstanden zu haben, um dann nur vor einer Benediktenwand aus neuen Fragen zu verzweifeln. 

Wir tasten uns durch die Dunkelheit. Ich misstraue Menschen, die mir ihre Antworten als für jeden gültig verkaufen wollen. 

Die Naturwissenschaften können in Versuchen immer wieder testen, ob die entdeckten Naturgesetze stimmen. Manches Naturgesetz gilt nur in einem bestimmten Setting. 

Wissenschaftstheoretisch ist ein Naturgesetz die Beschreibung von Regelmäßigkeiten im Verhalten von Objekten. 

Ich taste mich durch die Dunkelheit und schaue mir die Spuren an, die andere gefunden haben. 

In der Stille höre ich in mich und vergleiche die Spuren mit den Erfahrungen, die ich am Weg gesammelt habe. 

Natürlich bin ich von meiner Deutung überzeugt, aber ich weiß auch, dass sie nicht zu jeder Erfahrung passt. 

Natürlich ändere ich meine Deutung, wenn Erfahrungen anderer schlüssiger erklären, was die Welt im Innersten zusammenhält. 

Natürlich ist für mich das, was Wissenschaft in Jahren der Forschung erkannt hat, eine stabile Basis. Auch in der Wissenschaft führt jedes Ergebnis zu neuen Fragen. 

Ich vertraue nicht jenen, die glauben, alles verstanden zu haben. Wie bleiben alle Suchende.

Auch meine Dunkelheit endet erst im Tod. 

Vielleicht endet alles im Tod. Doch ich müsste alle Spuren, die ich sammelte, ignorieren, um das zu glauben. So bleibe ich beim Axiom, dass die Welt von einem Du getragen wird.

Keiner hat Gott je gesehen. 

Das schreibt Johannes in 1,18.

Die Begegnung mit der Liebe aber ist eine Begegnung mit Gott:


Niemand hat Gott je geschaut; wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns und seine Liebe ist in uns vollendet. [1 Joh 4,12]

Wir alle sind blind und doch urteilen wir auf der Basis eines unvollständigen Bildes vom Du und von der Welt. 


So sind wir Menschen. Ja, auch ich! Wir haben unsere feste Meinung von dem, was richtig und falsch ist. Um sich in der Welt zurecht zu finden, brauchen wir Schubladen. Diese von Zeit zu Zeit auszuschütten und neu zu sortieren, wäre vielleicht heilsam. Doch wir sind Schiffbrüchige, die nur dann das schmale Brett loslassen, wenn wir eine bessere Alternative finden. 

Viele Gläubige halten Jesus für eine geeignete Alternative zu anderen Deutungen der Wirklichkeit. 

Ich weiß, dass ich mich wiederhole, aber es bleibt wichtig:

Was ich für mich als passende Deutung von Wirklichkeit erlebe, kann andere in die Irre führen. Jedes Leben hat eigene Herausforderungen. Es gibt keine einheitliche Antwort auf die Herausforderung des Seins. 


Prüft alles, behaltet, was gut tut!


Menschen versammeln sich und wollen Jesus begegnen. Sie sind so richtig fromm. Und da kommt einer und drängt sich mit seinen Nöten in den Vordergrund.

Die Leute fanden es falsch, dass der Blinde so laut schreit. Das störte die tolle Begegnung mit Jesus. Am Ende der Geschichte preisen dann alle Gott. Offiziell wurde hier ein Mensch von körperlicher Blindheit geheilt. Das war nicht wirklich nötig - denn der Blinde sah sehr klar, was er tun muss, um wieder zu sehen. Welch logischer Knoten! Geheilt wurde die Menge - zumindest vorübergehend. Sie war blind für das Anliegen des angeblich Blinden. Nun erkennt sie Gott am Werk, zumindest im Augenblick.

Das wird nicht lange anhalten. Denn nun werden sie sich an anderer Stelle noch mehr berufen fühlen, zu urteilen. Das ist wohl nicht zu vermeiden. Und doch sollten wir uns bewusst bleiben, dass auch die Gläubigen nur rätselhafte Umrisse erkennen. Erst nach dem Tod sehen wir. (zu Lk 18, 35 - 43)

Manchmal wird etwas für uns sichtbar, was zuvor verborgen war.


Am 23. Mai 2005 erreichte ich das erste Mal das Haus Hoheneichen. Hier wollte ich, begleitet von einem Jesuiten, meinen weiteren Weg planen. Es regnete auf der Fahrt hierher in Strömen. Dresden war ungastlich. Es gab für einen katholischen Theologen kaum Stellen. War es nicht viel logischer, sich im Westen zu bewerben? Dort, wo die großen Kirchen stehen? Stattdessen hatte ich entschieden, dass mein Weg in den Osten führt. Leipzig war mir schon 1989 aufgefallen. Wem nicht? Doch nun hatte ich mich auch noch verliebt. Ich musste hier sein. 

Na gut. Martina hätte auch eine Stelle im Westen suchen können. Sie hatte ihr Examen mit besten Noten abgeschlossen. Doch auch sie hatte zielsicher den Osten gewählt. 

Doch nun regnete es. In der Ferne rollte der Donner. Es gab kleinere Tätigkeiten, aber keine dauerhafte Anstellung. Die Promotion war zum Hemmschuh geworden. 

Ich stieg aus. Es hörte auf, zu regnen. In der Wiese entdeckte ich ein vierblättriges Kleeblatt. Gab es doch Hoffnung?  

Eine sehr einfache Kapelle zog mich in ihren Bann. Ein schlichter Holzklotz. Ein lichtdurchflutetes Dach. Mein Tagebuch notiert:


 "Schüchtern blickte Gottes Gegenwart in den Raum. Er hält sich zurück. Sein Name wurde arg missbraucht, auch von Christen. Nun bleibt er verborgen." 


Am nächsten Tag male ich ein Bild. Mein Lebenslauf. Bereits 2005 scheint es mir reich an Brüchen. Wenige Tage später notiere ich dazu: "Wer in der Wüste war, darf reden." Woher kam das spöttische Lachen: Echt, Ernst-Ulrich? Tod des Vaters, Krankenhausaufenthalte, Dialyse und Transplantation bezeichnest Du als Wüste? Da geht noch mehr! 


Am 23. Mai 2021 besuchte ich das Kloster Marienstern. Wieder regnete es. Auch im Biergarten. Doch ich wurde freundlich empfangen und ins Trockene gebeten. Durch die Wolken brach ein Strahl der Sonne. Und mir schien, als sei ich nun erst angekommen.  Eine Oase in der Wüste. Das ist Berufung. Im Innersten zu wissen, dass man an einem Ort oder in einer bestimmten Tätigkeit sein muss ... auch wenn zunächst alles dagegen spricht. 


Mit Wüstenerfahrungen beschreibe ich Situationen, in denen ich loslassen musste. Gott könne nur gefunden werden, wenn man anderes loslässt, lautet die These vieler Gottsucher. Loslassen ist schmerzhaft. Hiobs Frau empfiehlt nicht ganz zu unrecht, er solle Gott verfluchen. Hiob dagegen hält das einzige fest, was er im Sturm noch hat: seinen Glauben. Das macht den Schmerz nicht kleiner. Aber es gibt dem Schmerz einen unverwüstlichen Adressaten. Glaubende haben in Jahrtausenden erlebt, dass die Dinge und Menschen, die sie loslassen mussten, tatsächlich nicht verloren waren. Glaubende spürten, dass sie nur für diese Welt tot sind. Am Ende siegt das Leben! Das eigentliche kommt noch. Vertröstung? Glaubende ahnen hier und jetzt, dass dieses Leben nicht die ganze Wirklichkeit ist. Manche verleitet das zur Weltflucht. Anderen gab es Kraft, die Gegenwart zu ertragen und zu gestalten. 

Licht vom Licht

In der Begegnung mit Jesus erkannten Menschen, dass er intuitiv wusste, was seine Aufgabe im Leben war. 

Jesus ist der perfekte Routenplaner, weil er selbst die Landschaft wie seine Westentasche kennt. Mit geschlossenen Augen weiß er, wo er sich fallen lassen kann. 

Jesus lässt die Menschen los. 

Jesus lässt sich selbst los. 

Befreiend ist seine Botschaft, wenn wir selbst loslassen. 


Licht vom Licht

Wir sind Licht der Welt, wo wir lieben ohne andere an uns selbst oder unsere Gruppe zu binden. 

Ziel ist immer das absolute Du. 

Natürlich kann ich für mich entscheiden, den Weg gemeinsam mit einem konkreten Menschen oder mit einer Gruppe zu gehen. Aber welchen Weg Gott für andere vorgesehen hat, können wir letztlich nicht sehen. Wir können letztlich keine Entscheidung für andere treffen. Wir sehen ja oft genug nicht einmal, wo wir selbst in einer Situation blind für uns selbst und die Bedürfnisse des Du sind. 

Wir sehen nicht das ganze Bild. 

Jesus allein erweist sich in seinem Handeln als Licht vom Licht. 

Wir brauchen uns gegenseitig, um aus den verwirrenden Erfahrungen in diesem Leben das Bild zusammenzusetzen. Vieles bleibt aber verborgen. 

Wir tun also gut daran, über andere Wege nicht zu urteilen. 


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