· 

Das göttliche Wesen

Die Welt braucht nichts anderes als (…) winzige Zellen der Liebe, von ausschließlicher Liebe. Denken Sie nicht, dass Sie in den Phasen, wo alles noch so unsicher ist, Ihre Zeit vertun. Seien Sie eine kleine Zelle der Liebe da, wo Sie sind, und Sie werden für die Sache Gottes mehr bewirken als eine ganze Armee.

Madleine Delbrêl 

Notizen zum Credo 17

Vielleicht ist Gott bindungsunfähig? 

Manchem scheint es so. Die Welt wirkt zu oft gottverlassen. 

Gott ist die Liebe. 

Doch was ist Liebe?

Manchmal spüren wir Liebe erst im Rückspiegel. 

Warum ist die Welt oft so kalt und verletzend?

Warum verletzen wir andere?

In die Dunkelheit der Welt gestossen klammern wir uns an andere ohne zu erkennen, dass andere ihren eigenen Weg gehen müssen.

In die Dunkelheit der Welt gestossen bleiben wir auf Distanz und hoffen doch auf eine wärmende Nähe, die uns befreit. 

Ist Gott kompliziert?

Vielleicht.

Vielleicht aber verstehen wir ihn einfach nicht.

Es fehlt ein Wörterbuch, um ihn zu entschlüsseln.

Die Gottsucher suchen nach dem Schlüssel zum letzten Geheimnis hinter einer Welt, die vielleicht mehr ist als eine Ansammlung von Molekülen am Rande des Nichts.

Die wesentlichen Dinge im Leben gleiten uns durch die Finger, wenn wir versuchen, sie festzuhalten. 

Manchmal erleben wir die große Liebe erst dann, wenn wir aufhören, nach ihr zu suchen und doch offen bleiben. 

Loslassen. Wer von Gott spricht, muss zunächst alle Bilder von Gott loslassen. Das Bilderverbot der Zehn Gebote will aus meiner Perspektive genau das: hinter den tausend Vorstellungen von Gott die eigentliche Bedeutung suchen. 

Wir finden Gott, wenn wir aufhören verzweifelt nach ihm zu suchen. 

Wir finden Gott, wenn wir neugierig unseren Alltag mit seinen Höhen und Tiefen leben. 

Manchmal stutzen wir dann und fragen uns, warum der Dornbusch nicht verbrennt. So erlebte es Moses.

Gott ist ansprechbar. Und doch ist Gott nicht einfach ein Du. 

Natürlich spreche ich mit dem göttlichen Du.

Und doch begegnen wir dem Wesen immer nur indirekt.

Manchmal berührt uns ein Mensch und wir spüren ein Feuer. Wir wollen den Menschen festhalten. Doch es kann auch ein Gruß aus einer anderen Welt sein. Nicht jede Verliebtheit führt zu einer tragfähigen Beziehung. 

Was ist denn das Wesen Gottes?

Das göttliche Du entzieht sich allen Vorstellungen. 

Ist Gott damit irrelevant?

Ausgangspunkt meiner Wanderung durch das christliche Glaubensbekenntnis war das Ich. 

Das unverwechselbare Ich entsteht aus verschiedenen Arealen des Gehirns. In uns hören wir viele Stimmen, die wir zusammenführen müssen. Manchmal ist das verwirrend. 

Das Bewusstsein entzieht sich der Forschung. 

Trotzdem erforschen wir das Bewusstsein, weil wir uns selbst bewusst erleben. 

Auch das Gottesbewusstsein entzieht sich. 


Am Ende der Reise durch das Glaubensbekenntnis der Christen steht ein Bild: die Trinität, ein Gott in drei Personen. 

Es geht darum, die Erfahrungen der Christen in Worte zu fassen. Doch das Wesen Gottes  bleibt unfassbar. 

An dieser Stelle der Reise wird vom gemeinsamen Wesen von göttlichem Sohn und göttlichem Vater gesprochen. 

Im Alltag erahnen wir das Wesen dort, wo wir lieben und geliebt werden. Dann kann es passieren, dass wir die Liebe zum Du mit dem göttlichen Du verwechseln. Das führt zu Enttäuschungen. 

Wir sind göttlich, wo wir schaffen, zu lieben ohne an einen eigenen Vorteil zu denken.  

Ob wir bereit sind, uneigennützig zu lieben, zeigt sich dort, wo der geliebte Mensch andere Wege geht.

Warum gehst Du? Ich brauche Dich doch. 

Bleib bei mir. Es ist Abend.

Die göttliche Liebe schenkt Geborgenheit, wo dies gebraucht wird.

Die göttliche Liebe bleibt auf Distanz und drängt sich nicht auf. Sie ist da, wo ich mich zu ihrem Instrument mache. 

Loslassen, aber nicht ungetröstet gehen lassen. 

Die göttliche Liebe hält nicht fest und lässt sich nicht festhalten. 

Zu viele reden von Gott und schaden gleichzeitig dem Du.


Das göttliche Wesen lässt sich selbst los und geht in die Ohnmacht, um andere zu einem Leben in Fülle zu führen. 

Das göttliche Wesen schickt nie andere in die Ohnmacht und Abhängigkeit von Menschen..

Das göttliche Wesen will Gemeinschaft und ist selbst Gemeinschaft. 

So lebt Jesus.

Er bleibt unabhängig. 

Er gewährt Freundschaft und Zuneigung.

Er übernimmt Verantwortung für andere.

Doch keine Beziehung hindert ihn daran, seinen eigenen Weg zu gehen und seinen eigenen Auftrag zu erfüllen. 

Ich bin der ich bin. Ich war und werde sein. Ich legte den Funken, der Dich erschuf. Ich werde Dein treuer Begleiter bleiben, wenn alles verloren scheint. Ich werde Dich in ewiger lebendiger Erinnerung bewahren, wenn Dein Körper zu Staub zerfällt. Du bist Teil einer Geschichte, die lange vor dem Urknall begann und über das Ende des Universums Bestand hat. Ich bin im leisen Säuseln des Windes und in den unerwarteten Umbrüchen der Geschichte. Ich begleitete Deine Eltern, als sie vertrieben wurden, führte Dich zu dem Ort, wo Du jetzt bist und bewahre die Menschen, die ich in Dein Herz geschrieben habe. Und jetzt geh! 

Adonai ist die Macht, die nicht von außen kommt, sondern aus dem Innersten. Deshalb kann sie eigentlich nicht gefahrlos ignoriert werden. Sie ist das befreiende Wort, die Veränderungen im Verborgenen beginnen lässt und am Ende die scheinbar Mächtigen vom Thron stürzt und den Schwachen aufhilft. Sie ist die Macht, die den Funken anhaucht und Flammen neu entzündet. Wer im Innersten entflammt ist von diesem göttlichen Funken, geht verwandelt durch die Welt.

Wer im Innersten entflammt ist, darf nie vergessen, dass er nicht selbst das Heil ist.

Ich kann Nähe schenken. Aber ich muss auch wieder loslassen. 

Ich liebe Dich.

Ich lass Dich los. 

Am Ende muss ich mich selbst loslassen. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0