Für Uns

Jedes Gefühl, das dich belastet, vergeht auch wieder, sobald du es erkennst und vertraust, dass die gegenteilige Gefühlsregung ebenso in dir existent ist.

Hildegard von Bingen

Notizen Zum Credo 19

Ich will Geld überweisen. Für einen private Deutschkurs. Als ich den Namen der Lehrerin in das  Handy eintippe, ergänzt das schlaue Gerät die IBAN der Lehrerin. Die Information war schon da. Ich bin überrascht. Ich hatte garnicht daran gedacht, dass ich schon einmal vor längerer Zeit an diese IBAN überwiesen hatte. Das Handy aber hat die Information aufbewahrt. Manchen macht das Angst. In der Europäischen Union kann man private Daten löschen lassen. Doch es gibt auch die Möglichkeit, gelöschte Daten zu rekonstruieren. Nichts geht für immer verloren. Wer im Internet unterwegs ist, hinterlässt immer Spuren. Auch dann, wenn er vermeintlich nur gesicherte Apps zum Kommunizieren nutzt. Alles, was verborgen ist, wird irgendwann sichtbar. 

[Mk 4,22]

Information bleibt. So sagt uns gegenwärtig die Physik. Wenn ein Mensch stirbt, sind Informationen über den Menschen nicht mehr in dem Sinn aufrufbar, dass wir ihn als Du wieder erleben. Ich möchte Mama umarmen, sagt das Kind, dessen Mutter gestorben ist. Tatsächlich bleibt irgendwo in den Tiefen des Universums die Information über ihr Lächeln, ihre Freude, ihre Verwundungen, ihre Liebe auf ewig erhalten. [Sabine Hossenfelder. Mehr als nur Atome]. Um die Information neu aufzurufen und um mit dem Du zu kommunizieren, bräuchte es ein absolutes Du, das in der Lage ist, die verstreute Information wieder zu verknüpfen. 

Der Philosoph Pierre-Simon Laplace beschrieb dieses fiktive Wesen:

"Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge eines früheren Zustandes ansehen und als Ursache des Zustandes, der danach kommt. Eine Intelligenz, die in einem gegebenen Augenblick alle Kräfte kennt, mit denen die Welt begabt ist, und die gegenwärtige Lage der Gebilde, die sie zusammensetzen, und die überdies umfassend genug wäre, diese Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen, würde in der gleichen Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die des leichtesten Atoms einbegreifen. Nichts wäre für sie ungewiss, Zukunft und Vergangenheit lägen klar vor ihren Augen."

Natürlich muss es dieses Wesen nicht geben. Die mathematischen Prozesse der Natur sagen darüber nichts aus. Es sind Erfahrungen und Deutung von Erfahrungen, die mich an dem absoluten Du festhalten lassen. 

Aus wissenschaftlicher Sicht kann heute nur das gesagt werden: Bis auf zwei Prozesse sind die gegenwärtigen Naturgesetze "zeitlich reversibel als auch deterministisch" [Sabine Hossenfelder. Mehr als nur Atome. 36.]

Die zwei Prozesse, die sich dem eben geschriebenen entziehen, finden wir in der Messung von Quanten und möglicherweise in Schwarzen Löchern. 

Quantenmechanik ist nichtdeterministisch, weil wir nicht vorhersagen können, was wir tatsächlich messen werden. Quantenmechanik ist nicht zeitlich reversibel, denn sobald wir das Teilchen gemessen haben, können wir nicht mehr herausfinden, wie die Wellenfunktion vor der Messung ausgesehen hat. [Hossenfelder. 39]

Schwarze Löcher ziehen alles an. Auch Licht kann nicht mehr entweichen. Wenn das Schwarze Loch irgendwann verdampft, lässt sich nicht erkennen, welche Information am Anfang den Ereignishorizont überschritten hat. 

Wenn wir diese beiden Fälle, die noch viele offene Fragen beinhalten, mal ignorieren, lässt sich tatsächlich sagen, dass alle Informationen über ein Du im Universum erhalten bleiben. 

Im Universum sind damit natürlich auch bleibend jene Ereignisse enthalten, die vor 2000 Jahren am Rande des Römischen Reiches geschahen. 

Das Credo deutet die Geburt Jesu als bewusste göttliche Tat für uns Menschen. 

Uns fehlen entscheidende Informationen über unsere Existenz. Wir sind in Ungewissheit und Dunkelheit geworfen. Die Bibel wird vielleicht deshalb nicht müde, immer wieder zu betonen: Fürchte Dich nicht!

Fleißige Zähler schreiben, dass diese Aufforderung 365 mal in den Schriften steht. 

Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir; / hab keine Angst, denn ich bin dein Gott. Ich helfe dir, ja, ich mache dich stark, / ja, ich halte dich mit meiner hilfreichen Rechten. Jes 41,10

Fürchte Dich nicht. Diese Ermutigung adressiert der Prophet [Deuterojesaja] an ein Volk, das von mächtigen Armeen unterworfen wurde und dessen Oberschicht im Exil ist. 

Gegen die Erfahrung der Ohnmacht wird das Vertrauen in den einen Gott als Trost und Hoffnung gesetzt. Ist das vielleicht nur Vertröstung? 

Nicht dann, wenn es jemand schreibt, der selbst in der Wüste war und von dieser Hoffnung getragen, beschützt und begleitet wurde. 

Es ist Vertröstung, wenn der Trost die eigene Rettung im Blick hat, aber den vergisst, der an der Situation verzweifelte. 

Wer sein eigenes Leben retten will, verliert es.

Wer sein eigenes Leben in den Dienst des Du stellt, gewinnt. [Joh 12,25]

Die Christen sind nur dann das Salz der Erde, wenn sie nicht an den eigenen Vorteil denken... auch nicht an einen himmlischen Vorteil. 

Die Christen sind nur dann das Licht der Welt, wenn sie andere ins Licht stellen statt daran zu denken, irgendwann selbst im Licht zu stehen. 

Für uns Menschen ist dieser Kosmos entstanden. 

Für uns Menschen ist die Erde geschaffen. 

Für uns Menschen ist Jesus Christus gekommen. 

Das ist die positive Botschaft, auf der das Credo der Christen aufbaut. In eine Welt, in der wir nach Sinn suchen und ohnmächtig Krieg und Gewalt erfahren, ist in Jesus Christus Gott selbst am Wirken. Er ist in der christlichen Deutung der Gottesknecht:


Er schreit nicht und lärmt nicht / und lässt seine Stimme nicht auf der Straße erschallen. [Jes 42,2]

Für uns Menschen wird Gott selbst ohnmächtig und fordert dazu auf, selbst den Ohnmächtigen aufzurichten. Die eigene Erfahrung der Ohnmacht öffnet den Blick für die Ohnmacht der Fremden, die ja aus der gleichen Quelle kommend in der Dunkelheit leben, in der auch wir selbst leben.

 

Einen Fremden sollst du nicht ausbeuten. Ihr wisst doch, wie es einem Fremden zumute ist; denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen. [Ex 23,9]

Im Kapitel 9 Matthäusevangelium wendet sich Jesus in unterschiedlichen Situationen Menschen zu, die Ohnmacht erleben. Er holt sie aus der Ohnmacht. Das ist der Sinn seiner Existenz. Er heilt einen Gelähmten, er hält Mahl mit unbeliebten Zöllnern, er heilt eine Frau, bringt ein Mädchen zurück ins irdische Leben, heilt zwei Blinde und einen Stummen und heilt auch sonst weitere Kranke. 

In diesem Kontext sucht Jesus nun nach Mitarbeitern: 

Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter.  Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.

Die zwölf Jünger werden mit einer anspruchsvollen Jobbeschreibung losgeschickt:

Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus.

Es ist eine ehrenamtliche Tätigkeit. Der Blick geht nicht auf weltliche Vergütung, sondern auf die Ewigkeit. 

Die Tätigkeit der Jünger hängt von den Menschen ab. Wenn es in einer Stadt nicht klappt, sollen die Jünger einfach gehen. Es gibt weder Feuer vom Himmel noch andere Strafen, die verhängt werden dürfen. 

Es ist ein machtvolles Handeln an ohnmächtigen Menschen, das die Niedrigen erhöht und durch eigene Ohnmacht glaubwürdig wird.

Für uns Menschen ist also keine Aufforderung, auf andere von oben zu blicken. Berufung hat immer den anderen im Blick, um den anderen groß zu machen.

"Dass ihr nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei tut. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst." [Phil 2,3]. 


Daher sind Gottsucher aufgerufen, Gottes Spuren nicht nur in der eigenen Religion wahrzunehmen, sondern zu lieben, was sie in anderen Religionen und deren Schriften als Gottes Spur erkennen. 

Gottes Spur ist auch da, wo Menschen den Gedanken an Gott als irrationales Märchen ablehnen. Oft genug tragen die Glaubenden selbst dazu bei, dass ihre  Botschaft unglaubwürdig erscheint.

Den anderen höher schätzen als sich selbst. Dazu fordert Paulus auf, der weiß, dass wir alle vom göttlichen Geheimnis umgeben sind. 

Daher ist die Menschheit insgesamt aufgerufen, Tiere und Pflanzen nicht in erster Linie nach dem eigenen Nutzen zu bewerten. Der Mensch ist Gärtner und nicht Diktator. 

Und im Blick auf das Weltall und eventuelles Leben dort wäre die entsprechende Perspektive wichtig. 

Wir sind zuerst Zuhörer einer Botschaft, die das absolute Du in verschiedene Teile des Kosmos ausgegossen hat. 


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