Ich brauche nur ins heilige Evangelium zu schauen und ich weiß wieder, in welche Richtung ich zu laufen habe
Therese von Lisieux
Notizen Zum Credo 20
So sind wir Menschen. Ja, auch ich! Wir haben unsere feste Meinung von dem, was richtig und falsch ist. Um sich in der Welt zurecht zu finden, brauchen wir Schubladen. Diese von Zeit zu Zeit auszuschütten und neu zu sortieren, wäre vielleicht heilsam.
Menschen versammeln sich und wollen Jesus begegnen. Sie sind so richtig fromm. Und da kommt einer und drängt sich mit seinen Nöten in den Vordergrund.
Die Leute fanden es falsch, dass der Blinde so laut schreit. Das störte die tolle Begegnung mit Jesus. Am Ende der Geschichte preisen dann alle Gott. Offiziell wurde hier ein Mensch von körperlicher Blindheit geheilt. Das war nicht wirklich nötig - denn der Blinde sah sehr klar, was er tun muss, um wieder zu sehen. Welch logischer Knoten! Geheilt wurde die Menge - zumindest vorübergehend. Sie war blind für das Anliegen des angeblich Blinden. Nun erkennt sie Gott am Werk, zumindest im Augenblick.
Das wird nicht lange anhalten. Denn nun werden sie sich an anderer Stelle noch mehr berufen fühlen, zu urteilen. Das ist wohl nicht zu vermeiden. Und doch sollten wir uns bewusst bleiben, dass auch die Gläubigen nur rätselhafte Umrisse erkennen. Erst nach dem Tod sehen wir. (zu Lk 18, 35 - 43)
Als Sohn Gottes hätte Jesus doch in Rom erscheinen können. Er hätte die Wahrheit verkünden können und von oben herab die Welt verbessern können. Er hätte allen Ohnmächtigen effektiv helfen und die Mächtigen vom Thron stürzen können. [Lk 1,52]
Stattdessen ist er selbst ohnmächtig.
Und er schickt seine Jünger in die Ohnmacht.
Verändert sich das Schicksal der Ohnmächtigen durch Jesus Christus?
Das Volk wartet auf sichtbare Befreiung.
Jesus aber setzt auf einen Frieden, den die Welt nicht geben kann. [Joh 14,27].
Das Heil beginnt, wo ich mich selbst und meine Talente in den Dienst des Du stelle.
Ich muss dazu nicht reich, schön, erfolgreich und gesund sein.
Ich muss dazu keine bestimmte Stellung und keine Position in Staat oder Kirche haben.
Ich muss dazu einfach mit offenen Augen durch meinen Alltag gehen und mich dem Du öffnen.
Zu unserem Heil und zum Heil des Du.
Ich gewinne mein Leben, indem ich es für Dich loslasse. Ich muss da sein, wo der Geist mich hinführt.
Ich suche keinen Gewinn. Ich will, dass Du gewinnst.
Wie oft behaupten Gläubige, es gehe ihnen um das Heil des anderen. Aber in Wirklichkeit geht es ihnen um das eigene [ewige] Heil oder das Heil der eigenen Gruppierung.
Gott selbst handelt. Wir sind nur Werkzeug.
Gott selbst handelt durch einen verborgenen Prozess, nicht durch mitlitärische Macht. [Sach 4,6]
Das ist die göttliche Weisheit.
Sie will unser Heil.
Was ist das Heil?
Der Begriff hat zwei zentrale Stoßrichtungen:
Zum einen bezeichnet Heil das persönliche Wohlergehen. Dieses wird verstanden als Glück, Gesundheit oder Genesung.
Die zweite Perspektive ist religiös. Heil bezeichnet die Erlösung.
Damit geht es im religiösen Heil um eine Perspektive, die über Raum und Zeit hinausgeht.
Wir sind in die Dunkelheit geworfen. Wir handeln in einer Welt, deren Grundlagen unbekannt sind. Die moderne Naturwissenschaft stösst an überraschende Grenzen bei der Deutung von Wirklichkeit.
In der Unsicherheit unseres Weges gibt es viele, die uns überzeugen wollen, ihrem Weg zu folgen.
Wir haben begrenzte Zeit.
Wir können nicht jeden Weg mitgehen.
Wir suchen den Weg, der zu uns selbst passt.
Wir suchen und folgen der vertrauten Stimme.
Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus, und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme. [Joh 10,4]
Es ist die Stimme, die nicht durch kluge Reden überzeugen will. [1 Kor 2,4] Das braucht sie nicht. Es geht um die Mitte der Existenz. Heil bringt die Erinnerung an die Quelle, aus der wir kommen.
Der Ohnmächtige geht zu den Ohnmächtigen und spricht über seinen Auftrag:
"Der Geist des Herrn ruht auf mir, weil er mich berufen und bevollmächtigt hat. Er hat mich gesandt, den Armen die frohe Botschaft zu bringen. Ich rufe Freiheit aus für die Gefangenen, den Blinden sage ich, dass sie sehen werden, und den Unterdrückten, dass sie von jeder Gewalt befreit sein sollen. Ich verkünde ihnen ein Jahr, in dem der Herr seine Gnade zeigt." [Lk 4, 18-19]
Das Heil finden wir nicht in den Palästen und nicht bei den Reichen und Mächtigen. Klar, wer Macht hat, scheint Einfluss auf unser Leben nehmen zu können. Doch Gottes Spur entdecken wir dort nicht.
Bei Jesaja ist der Gottesknecht eine unerkannte Existenz. Erst in seinem Tod wird seine Bedeutung für die Gemeinschaft sichtbar.
Der Mächtige hat vorübergehend Einfluss.
Der scheinbar Ohnmächtige nimmt langfristigen Einfluss auf den unsichtbaren Alltag des Du und erhõht dadurch die Niedrigen. Er gibt ihnen Kraft und Mut.
Der Gottesknecht zeigt denen einen Weg, die wissen, dass sie natürlich in der Dunkelheit dieser Existenz immer wieder anderen auf die Füße treten.
Wir wenden uns von der Mitte unserer Existenz ab, weil wir an so vielen Dingen hängen, die wir festhalten wollen, obwohl wir im Innersten natürlich wissen, dass wir nichts festhalten können.
Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, / ein Mann voller Schmerzen, / mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, / war er verachtet; wir schätzten ihn nicht. [Jes 53,3]
Sein Reich ist nicht von dieser Welt!
Das verstehen auch seine Jünger nicht in letzter Konsequenz.
Dieses Leben vergeht.
Wir werden nicht heil, wenn wir Einfluss auf Dinge und Menschen ansammeln.
Wir werden heil, wenn wir uns und unsere Fähigkeiten in den unzweideutigen Dienst des Du stellen.
Das Heil, das Jesus bringt, braucht scheinbar nicht zu viel Strukturen.
Der Ansatz ist der Mensch, der in der Dunkelheit der Welt durch das Wort eine befreiende Perspektive gefunden hat und nun anderen Befreiung bringt.
Das Heil, das Jesus bringt, wirkt in allen Strukturen, auch in ungerechten Strukturen.
Paulus sendet Onesimus zurück zu seinem Herrn. Onesimus ist Sklave. Er bleibt in der Sklaverei. Aber er ist auch Christ. Und auch der Sklavenhalter ist Christ. In der Begegnung mit der Quelle verändert sich die Perspektive.
Loslassen. Als Jesus in die Welt kam, blieb in ihm das Bewusstsein der göttlichen Herkunft. Gleichzeitig musste er neu buchstabieren, was es bedeutet, in der Dunkelheit zu existieren. Als 12jähriger macht er dies im Tempel, den er als Haus seines Vaters empfand.
"Nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel; er saß mitten unter den Lehrern, hörte ihnen zu und stellte Fragen." [Lk 2,46]
Zuhören und Fragen stellen sind Fähigkeiten, an denen sichtbar wird, dass ein Mensch aus der göttlichen Quelle lebt. Es ist die Bereitschaft, sich auf die Perspektive des Du einzulassen und seine Erfahrung in den eigenen Weg einzubeziehen. Jesus lernt Gott in den Bildern des jüdischen Glaubens neu kennen. Hier findet er die Worte, um sein von Ewigkeit zu Ewigkeit zärtliches Verhältnis zum absoluten Du zu beschreiben. Geliebt vom Du wendet sich Jesus dem Du zu und heilt durch sein göttliches Wesen und sein menschliches Auftreten.
Es gibt vor allem in den USA die These, dass Jesus sein medizinisches Wissen in Ägypten erworben hat. Ein Hinweis darauf taucht in den Schriften von Origines gegen Kelsos auf. Danach könnte Jesus in der Bibliothek von Alexandria gewesen sei.
Da findet das Wunder seiner heilenden Zuwendung zum Du seine naturwissenschaftliche Erklärung.
Trotzdem: Jesus geht es nicht um diese körperliche Heilung. Das Johannesevangelium sieht die Heilungen als Zeichen. Gott wendet sich zu, wo wir uns dem Du bedingungslos zuwenden.
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