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Aus Geist Geboren

Es kommt nicht darauf an, wie Du entstanden bist. Ich wollte, dass Du da bist. Und ich habe meine Wege.

Anna Mirjam Kaschner

Notizen Zum Credo 23

Die Wahrheit kann schmerzen. Sie kann einen Menschen aus der Bahn werfen und in eine Krise stürzen. Schwester Anna Mirijam Kaschner sprach in einem Interview von ihren leiblichen Eltern. Die leibliche Mutter war vergewaltigt worden und hatte das Kind nach der Geburt zur Adoption freigegeben. Lange Zeit wusste Anna Mirijam nichts von ihrer gewaltsamen Zeugnis. Im Interview spricht sie darüber, wie sie als junge Frau mit der Enthüllung umging: 


Ich bin von Kiel zurück ins Kloster gefahren. Ich war völlig durcheinander. Ich habe mit mir und mit Gott gerungen: Warum musste ich aus so einer Beziehung entstehen? Warum hatte ich nicht das Glück, wie die meisten anderen Menschen aus einer Liebesbeziehung heraus zu entstehen, sondern aus einem Akt der Gewalt? Was macht das mit mir? Wer bin ich eigentlich? Bin ich das Produkt eines Gewaltaktes? Kurz vor Weihnachten haben wir dann in der Vesper den Psalm 139 gebetet, in dem es heißt: "Deine Augen sahen, wie ich entstand." Da ist innerlich etwas in mir zusammengebrochen. Ich habe stundenlang in der Kirche gesessen und geheult. Ich habe Gott alles an den Kopf geworfen, sagte zu ihm: Du hast sogar noch dabei zugeschaut! Was soll das? Es war furchtbar.


Jeder muss seine eigene Antwort auf die Zumutungen finden. Schwester Kaschner fand für sich diese Antwort, die tragend wurde:


 Wir hören am Ersten Weihnachtstag jedes Jahr den Prolog des Johannesevangeliums. In diesem Jahr habe ich den Text als eine Botschaft direkt an mich gehört: "Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden. Allen, die nicht aus dem Fleisch, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind." Das ist für mich bis heute die schönste Bestätigung des Daseins. Ich habe die Botschaft gehört: Es kommt nicht darauf an, wie Du entstanden bist. Ich wollte, dass Du da bist. Und ich habe meine Wege.


Heute ist Schwester Kaschner Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz 

Das katholische Ideal ist die Zeugung des Kindes in einer liebevollen Vereinigung von Mann und Frau. In der Realität gibt es viele Brüche und Verletzungen: am Beginn der Existenz und am Weg durch das Leben. Es gibt vielfältige Bemühungen um gelingende Beziehungen, aber wir bleiben unvollendete Entwürfe. 

Leben ist nicht perfekt. Und doch würden wir uns das manchmal wünschen. Was ist, wenn Träume zu Albträumen werden? Was ist, wenn das Familienglück nicht perfekt ist? Was ist, wenn Krankheiten und Unglück den Alltag verdunkeln. An einen geliebten Menschen zu denken heißt auch, an die zerbrochenen Träume denken. Weil Leben nicht perfekt ist. Und weil die Bruchstücke ihren eigenen Wert haben. Weil die Träume vom Wunderland nur im Kopf sind. Weil wir vom Leben gebrochen und doch stark sein können. Darum sollten wir nicht denen trauen, die uns vorgaukeln perfekt zu sein. Aus den zerbrochenen Teilen unserer unerfüllten Sehnsucht kann eine neue Stadt entstehen.  Auch aus den gebrochenen Biographien von Kindern und Jugendlichen, Auch aus ihren Grenzen und Krankheiten. 

In Filmen gibt es Verwicklungen und Krisen, aber am Ende ist alles gut. Das Leben ist anders. 

Vielleicht kommt man dem tieferen Sinn des Ideals näher, wenn man schlicht von den Kindern ausgeht. Kinder brauchen verlässliche Begleitung und Zuwendung am Weg in dieses Leben. Nicht immer müssen das die leiblichen Eltern bieten. Manchmal brauchen sie Unterstützung. Manchmal treten sie in den Hintergrund. Manchmal kann es hilfreich sein, Eltern das Kind zu entziehen, um Schaden vom Kind abzuwenden oder weil die leiblichen Eltern schlicht überfordert sind. Der Blick auf ein Ideal schadet auch da mehr als es hilft. 

Das katholische Sakrament beleuchtet ein Ideal. Selbst konservative bürgerliche Familien aber erreichen es nicht. Insofern sollte der Anspruch nicht sein, perfekt zu sein. Am Ende gibt es genau ein wichtiges Kriterium: die Liebe.  


Mit Papst Franziskus unterstreiche ich, dass Liebe kein Provisorium ist. Sich einem Menschen zuwenden, bedeutet Verantwortung. Je näher ich einem Menschen komme, desto wichtiger ist, ihn mit seiner ganzen Person als gleichberechtigtes Du anzunehmen. Seiner eigentlichen Bedeutung nach widerspricht Liebe der Kultur des Provisoriums: 

Ich beziehe mich zum Beispiel auf die Schnelligkeit, mit der die Menschen von einer Liebesbeziehung zur anderen wechseln. Sie meinen, dass man die Liebe wie in den sozialen Netzen nach Belieben des Konsumenten ein- und ausschalten und sogar schnell blockieren kann.  (AL 39)

Manche Beziehung ist ein Strohfeuer. Rasch ist das Paar im Bett. Rasch verfliegt die Begeisterung. Klar, manchmal ist es besser, sich zu trennen. Den anderen freigeben, nimmt ihn als eigenständige Person ernst. Selbst zu erkennen, dass ein gemeinsamer Weg nicht möglich ist, kann Ausdruck von Reife sein. Doch gerade dann, wenn der Weg nicht mehr weitergehen kann, bleibt die Herausforderung, sich weiterhin auf Distanz zu lieben. Gerade für Kinder ist es wichtig, dass Trennungen so erfolgen, dass die Kinder nicht zu sehr leiden müssen. 

Wir sind Kinder Gottes. Alle.

Doch nicht jeder lebt aus diesem Bewusstsein. 

Wer sich als Kind Gottes begreift, tastet sich anders durch die Dunkelheit des Lebens. 

Wer sich als Kind Gottes begreift, sieht anders auf die Welt. 

Er sucht im Du nach dem göttlichen Funken, aus dem alles entstand. Dieser göttliche Funken kann verschüttet sein wie ein Keller in einem zerstörten Haus. Manchmal müssen wir helfen, um im Du den Funken sichtbar zu machen. Manchmal müssen wir Menschen meiden, weil wir in der Zuwendung zum Du unseren eigenen Funken verschütten würden. 

Andere können vielleicht besser helfen. 

Jesus Christus bewahrte das Bewusstsein, aus dem göttlichen Geist geboren zu sein. 

Das relativiert alle Beziehungen und Traditionen, in die er gestellt ist. Bedeutsam werden Menschen, die helfen, den Weg zur Quelle zu finden und die selbst aus dieser Quelle leben. [Mt 12, 48-49]

Gleichzeitig achtete Jesus Christus die Beziehungen und Traditionen. Noch am Kreuz sorgte er für seine Mutter.


Wir sind aus dem Geist geboren, wo wir unser Leben für andere einsetzen. 

Wir sind aus dem Geist geboren, wo wir uns in unserem Leben am Beispiel Jesu orientieren, der selbst in die Ohnmacht ging und Ohnmächtige in den Mittelpunkt stellte. 

Das ist heute unser Weg, Jesus Christus aufzunehmen.


Allen aber, die ihn aufnahmen, / gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, / allen, die an seinen Namen glauben,

die nicht aus dem Blut, / nicht aus dem Willen des Fleisches, / nicht aus dem Willen des Mannes, / sondern aus Gott geboren sind. [Joh 1,12-13]



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