Gekreuzigt

„Wir fühlten alle, wie tief und furchtbar die äußeren Mächte in den Menschen hineingreifen können bis in sein Innerstes, aber wir fühlten auch, daß es im Innersten etwas gab, was unangreifbar war und unverletzbar.“

Anna Seghers

Notizen Zum Credo 27

Kreuzweg am Käppele in Würzburg
Kreuzweg am Käppele in Würzburg

Kann es einen Gott geben in einer Welt, in der Menschen leiden? Wie könnte ein Gott ertragen, den Unschuldigen leiden zu sehen ohne selbst einzugreifen? 

Die Fragestellung trennt zwischen dem Ich und dem göttlichen Du. 

Auf dem Weg durch das christliche Glaubensbekenntnis begegnet uns jedoch das göttliche Du in uns selbst.

Untrennbar verbunden. 

Ist es nur ein Selbstgespräch?

Wer aber spricht da mit wem?

Die Naturwissenschaft findet keinen Nachweis für das Ich. Das Ich ist ebenso ungreifbar wie das göttliche Du. 

Doch im Leid erleben wir besonders schmerzhaft das Ich. Das Ich leidet. Jedes Du sitzt nur daneben und sieht hilflos zu. 

Jedes Du kann versuchen, den Schmerz zu lindern, den das Ich ertragen muss. 

Und doch ist das Ich getrennt vom Du. 

Ausgerechnet im tiefsten Leid erlebt Jesus Christus eine unerträgliche Gottverlassenheit. Es ist der Sohn, der leidet. 

Und doch ist da eine andere Präsenz:

In ihm bewegen wir uns, leben wir und sind wir. 

Das göttliche Wesen ist Leidender und Beobachter des Leidens. 

Gott ist hilflos und lässt uns doch nicht los. 

Unsere Existenz hängt am göttlichen Du. 

Gott hat einen Raum geschaffen, in dem das Ich tiefen Schmerz und tiefe Freude erlebt und so zu Bewusstsein kommt. 

Die Allmacht sinkt in Ohnmacht, um dem Du Bewusstsein zu schenken. 

Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? 

Es gibt eine letzte Grenze, die das Du vom Ich trennt. 

Und doch bleibt Jesus Christus nicht in dieser Verlassenheit stehen. 

Er zitiert hier den Anfang von Psalm 22, der im weiteren Verlauf vom Vertrauen der Vorfahren spricht: 

Dir haben unsere Väter vertraut, sie haben vertraut und du hast sie gerettet.

Zu dir riefen sie und wurden befreit, dir vertrauten sie und wurden nicht zuschanden. [Ps 22, 5-6]

Tiefe Verlassenheit und tiefes Vertrauen gehören zusammen. 

Mitten in der Dunkelheit des Leidens verurteilt Jesus Christus nicht. Er begreift, dass auch seine Peiniger nicht sehen, was sie tun: 


Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. [Lk 23,34]


Sein ganzes Leben hatte Jesus Christus davorgewarnt, zu verurteilen. Wir sehen die Welt nur aus unserer Perspektive. Es fehlt der Blick auf das ganze Mosaik. Wir sehen oft genug nicht den Balken im eigenen Auge. 

Am Kreuz geht der Blick auf die Leidensgenossen. Nein, Jesus Christus verhindert nicht den Weg durch das Leid. Der qualvolle Tod bleibt. Wir verlieren im Leben die Menschen, die wir lieben. Der tiefe Schmerz erzählt von der ohnmächtigen Liebe, die hilflos das Unglück geschehen lassen muss. Doch die scheinbare Ohnmacht führt in die befreiende Gemeinschaft mit dem göttlichen Du: 


Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein. [Lk 23,43]


Zwei Verbrecher wurden mit Jesus gekreuzigt. Der eine spottet. Der andere bittet. Es gibt keine Verurteilung des anderen. Die Tür wird nicht entgültig zugeschlagen. Doch wird den Spotter das Wort der Hoffnung erreichen? Oder ist er im Schmerz des Ich so verkeilt, dass er den Spalt in der Tür übersieht. 

Für Gott ist nichts unmöglich. Es ist der Mensch, der den glimmenden Docht löschen will. 


„Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“  [Lk 23,46]


Jesus Christus bewahrt das Bewusstsein, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Der Begriff Abba steht für ein kindliches Vertrauen in einen letzten Sinn und tragenden Grund. Auch wenn ich nicht verstehe, warum es Leid und Not gibt und ich diese Welt nicht für die beste aller möglichen Welten halte, bleibe ich dabei, dass das Leben am Ende siegt. 


Mich dürstet [Joh 19,28] 


In dieser Welt bleibt das Gefühl, dass etwas fehlt. Wir erahnen eine Quelle, die unseren Durst nach Liebe und Leben, nach Zuwendung und Nähe stillt. Manchmal wird ein menschliches Du zum Boten dieser Sehnsucht.  Manchmal verwechseln wir Bote und Botschaft. Wir hoffen auf einen Menschen und sind enttäuscht, wenn der andere eben nicht den Durst wirklich stillen kann. 


Es ist vollbracht [Joh 19,30]


Und so ist diese Welt oft genug eben Ort der grimmen Schmerzen und der unbefriedigenden Lust. Wir erleben Stunden der Freude, aber wir stossen immer wieder an unerträgliche Grenzen. Vollbracht ist dieses Leben, wo wir auf die Zumutungen des Lebens mit Zuwendung zum Du reagieren. Wir gewinnen das Leben, wo wir aus Liebe das Leben loslassen. 

Jesus selbst geht den Weg der Ohnmacht. Immer wieder entzieht er sich den Bemühungen anderer, ihn zum politischen Führer zu machen. 

Wenn Jesus davon spricht, dass es keine größere Liebe gibt als wenn einer sein Leben für seinen Nächsten gibt, dann meint er einen persönlichen Einsatz für den anderen. Diktatoren schicken andere in den Tod, während sie selbst im sicheren Bunker sitzen. Der Ohnmächtige sitzt selbst im Bombenhagel. 

Das Symbol der ersten Christen war nicht das Kreuz, sondern der Fisch. Trafen sich die verfolgten Christen wurde der Fisch zum Erkennungszeichen.

Die ersten Christen beeindrucken dadurch, dass sie in der eigenen Ohnmacht dem Ohnmächtigen aufhelfen. 


"Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, geh umher!" [Apg 3,6]


 Mit Kaiser Konstantin wurde dann das Christentum staatlich anerkannt. Das Kreuz wurde zum Zeichen des weltlichen Sieges. Kirche wurde zur Volkskirche. Im katholischen Bayern findet sich das Kreuz auch in Behörden und Schulklassen. Das ist innerhalb der Kirche durchaus umstritten. 


Jesus Christus selbst entzog sich allen Versuchen, weltliche Macht auszuüben. Er ging seinen eigenen Weg, ohne zu verlangen, dass man bei ihm bleibt.

Liebe lässt los. 

 Auch seinen Jüngern lässt er die Wahl, wieder zu gehen. Doch wer sich entscheidet, Jesus Christus nachzufolgen, gibt jede Macht aus der Hand. Auf die Frage der Jünger nach ihrer Machtposition im Himmel stellte er ein Kind in die Mitte. 

Das Kreuz führt den Christen in die Ohnmacht

Das Kreuz ist Ernstfall der Nachfolge. 


"Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach." [Mt 16,24]

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