Gericht der Liebe

Notizen Zum Credo 35

Entscheidungen sind unvermeidbar. Manche Menschen lassen wir in unser Leben. Andere Menschen meiden wir. Jede Gemeinschaft lebt davon, dass es Grenzen gibt. Wir schließen Menschen aus, wenn wir denken, dass sie der Gemeinschaft schaden. 

Auch innerhalb einer Gemeinschaft sind eigene Räume wichtig, um dem Du neu begegnen zu können. 

Und doch ist all das kein abschließendes Urteil. 

Es kann sein, dass der Mensch, mit dem ich nicht zurecht komme, an einem anderen Ort und mit anderen Menschen aufblüht. 

Es gab und gibt daher Menschen, die die Gemeinschaft der Christen verlassen. Manche wechseln auch nur die Gemeinde oder die Konfession. Manche finden in einer anderen Religion Heimat oder sie lassen den Gedanken an Gott los.

Manchmal stehen unsere Bilder der Begegnung mit Gott im Weg. Manchmal ist es gut, alle Bilder aufzugeben, um hinter den Bildern Gott neu zu finden. 

Loslassen fällt schwer.  


Zu manchen Menschen finde ich keinen Zugang.

Manche Menschen triggern mich, bevor sie überhaupt etwas sagen. 

Manche Menschen lassen mich verzweiflen. 

Manche Erfahrungen verhindern eine neue Begegnung. 

Diese Menschen liebe ich, indem ich ihnen einen eigenen Raum lasse. 

Zum Schutz des Du. Zum eigenen Schutz.

Im Verlauf der Geschichte der Christen fiel es den Konfessionen schwer, anderen Raum zu lassen. 

Manchmal gelang das Miteinander. 

In Bautzen steht eine Kirche, die seit der Reformation von beiden Konfessionen genutzt wird. 

In Augsburg ist die Ulrichskirche zwischen den Konfessionen geteilt. 

Die meisten Simultankirchen finden sich in Rheinland-Pfalz. 

Am Ende wird Jesus wiederkommen. Er ist der Richter, nicht wir. 

Ausdrücklich fordert Jesus dazu auf, nicht selbst zu urteilen. 


Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune. [Mt 13,30]


Immer wieder sahen sich auch Christen berufen, andere zu verurteilen. Sie glaubten, sich in den Arbeitern zu erkennen, die gesendet sind, um das Unkraut zu vernichten. 

Paulus dagegen betont die Notwendigkeit, auf ein Urteil zu verzichten. Er begründet das gerade damit, dass die Gemeinde und er selbst in dieser Welt ohnmächtig sind: 


Richtet also nicht vor der Zeit; wartet, bis der Herr kommt, der das im Dunkeln Verborgene ans Licht bringen und die Absichten der Herzen aufdecken wird. Dann wird jeder sein Lob von Gott erhalten. [...]


Ihr seid schon satt, ihr seid schon reich geworden, ohne uns seid ihr zur Herrschaft gelangt. Wäret ihr doch nur zur Herrschaft gelangt! Dann könnten auch wir mit euch zusammen herrschen. [...]


Bis zur Stunde hungern und dürsten wir, gehen in Lumpen, werden mit Fäusten geschlagen und sind heimatlos. 

[1 Kor 4, 5-11]


Über Jahrhunderte gab es Herrscher, die sich als Christen verstanden. Auch Bischöfe herrschten. 

Als Herrschende führten sie andere in die Ohnmacht. 

Gottes Reich aber ist dort, wo die Mächtigen von Thron gestürzt und die Ohnmächtigen aufgerichtet werden. 

Jesus kam als Ohnmächtiger in die Welt und entzog sich der Versuchung, Macht auszuüben. 

Christliche Herrschaft ist Dienst. 

Das darf keine religiöse Floskel bleiben. Das muss erkennbar und erlebbar sein. 


Wir sind blind.

Wir sehen nicht alles, was im Du verborgen ist. Wir sehen ja nicht einmal, was alles in uns selbst verborgen ist. 

Das gilt auch für die Christen. 

Wir erkennen etwas an der Wirklichkeit aus unserer  Perspektive. Aber wir sehen nicht das Gesamtkunstwerk. 


Wir können nicht urteilen, weil auch wir nur rätselhafte Umrisse sehen. [1 Kor 13,12]


Wir tasten uns durch die Welt und sollten aufpassen, dass wir nicht den glimmenden Docht in den Menschen löschen, denen wir begegnen. [Jes 42, 3-4]

Manche christliche Bilder und Worte tragen dazu bei, dass andere abgestossen werden und nicht de Quelle finden, von der wir reden. 

Gläubige haben manchmal Floskeln, die für religiös unmusikalische Menschen unerträglich sind. Vielleicht gehört zu diesen Floskeln auch "religiös unmusikalisch". Vielleicht ist das ein überheblicher Gedanke, dass Christen eine Fähigkeit haben, die andere nicht haben. Sicher aber gehört zu den unerträglichen Floskeln dieser Satz: 

"um Jesu willen". 


Eigentlich soll der Satz die eigene Motivation unterstreichen. Ich will Dir nicht helfen, um einen Vorteil zu bekommen. Du musst mir nichts dafür geben, denn die Belohnung bekomme ich später von Jesus. 

Also gehe ich durch die Welt und schaue, wo Jesus ist. Schließlich will ich am Ende auf der richtigen Seite stehen, auf der Seite der Gewinner beim Weltgericht, von dem Matthäus [Mt 25, 31-46] erzählt. 


Doch aus meiner Sicht ist die Geschichte eine schallende Ohrfeige für die Gläubigen. Auf der richtigen Seite stehen jene, die keine Ahnung haben, dass ihnen die Zuwendung Vorteile bringt. 

Die rechte Hand wusste nicht, was die linke tut. Es war einfach dran, bestimmte Dinge zu tun. 

Da hatte jemand Hunger und Du hattest etwas zu essen. Also hast Du etwas abgegeben. 

Da brauchte jemand eine Wohnung und Du hattest Platz in Deinem Haus. Also hast Du ein Bett bezogen. 

Da war jemand im Gefängnis, den Du kennst. Also hast Du ihn besucht, weil es Dir wichtig schien. 

Du hast gesehen, dass einem Fremden am Weg Kleidung fehlt. Du hast zu Hause Kleidung, die nicht mehr passt. Also hast Du ihm die Kleidung gegeben. 


Die Christen sind nur dann das Salz der Erde, wenn sie nicht an den eigenen Vorteil denken... auch nicht an einen himmlischen Vorteil. 

Die Christen sind nur dann das Licht der Welt, wenn sie andere ins Licht stellen statt daran zu denken, irgendwann selbst im Licht zu stehen. 


Als die Jünger über ihren Platz in Jesu Reich nachdachten, stellte Jesus ein Kind in die Mitte. 


Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder werdet ihr nicht in Gottes Reich kommen. 


Wie könnte die Geschichte vom Weltgericht weitergehen? 

Ich kann mir irgendwie nur schwer vorstellen, dass die Geretteten mit der Situation glücklich sind. 

Gehe ich jetzt in den Alltag mit dem Ziel, so zu handeln, dass ich bei den Gewinnern stehe? 

Ist mir dann egal, was mit den anderen passiert? 

Setze ich mich für die anderen bei Jesus ein? Oder gehe ich einfach in den Himmel, froh darüber, nicht auf der anderen Seite zu stehen?

Danke, dass ich nicht bin wie die anderen?

Um Jesu willen ist es wichtig, nicht nur jene im Blick zu haben, die zur eigenen Gruppe gehören. 

Um Jesu willen sollten wir nicht nur die lieben, die uns lieben. 

Um Jesu willen sollten wir bereit sein, dieses Leben loszulassen ohne zu denken, dass uns das einen Vorteil bringt. 

Um Jesu willen ist es nötig, Jesus seinen eigenen Weg gehen zu lassen. 

Jesus will weder sich noch die Jünger noch die Kirche retten. Ihm geht es um das verlorene Schaf. Ihm geht es um eine gespaltene und zerrissene Welt. 

Wenn wir im Leben alles getan haben, was nötig war, um dem Du zu helfen, dann war das einfach der Sinn unserer Existenz. 

Was Gott daraus machen will, liegt nicht in unserer Hand. 

Aber wir können sicher sein: es kommt noch was!

Am Ende siegt das Leben über Tod und Leid!

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