Der Geist der Liebe und das Kreuz

Lost Place Brauerei in Magdeburg
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Notizen Zum Credo 36

Wir haben Sehnsucht nach einem Du, dem wir unsere Ängste, unsere Alpträume, aber auch unsere Hoffnung und unsere Freude erzählen können. 

Menschen können in Sternstunden diese Sehnsucht erfüllen. Doch sie selbst wissen, dass sie es nicht aus eigener Kraft schaffen. Sie sind von einer anderen Kraft erfüllt, deren Instrument sie sind. Es ist gut, zu unterscheiden. Hänge Dein Herz an die Liebe, nicht an das vergängliche Instrument der Liebe.

Der Begriff Gott steht nicht für das mächtige Wesen, das jederzeit eingreift. Mächtig ist dieses Du trotzdem. Seinen Sitz hat es in der Einsamkeit des Ich und am Rand der Gesellschaft in den Ohnmächtigen und am brennenden Dornbusch, den wir als neugierige Menschen am Rande des Alltags auch heute entdecken können.

Die Rede von Gott verstummt vor dem Leid, dass Menschen sich gegenseitig antun. 

Die Rede von Gott verstummt vor dem Leid, das die Natur und der eigene Körper dem bewussten Ich antut. 

Die Rede von Gott ist hohl und leer, wenn Menschen ihn dafür preisen, dass es ihnen selbst gut geht, während andere auf der Suche nach Leben sterben: an den Grenzen Europas, aber auch Mitten in unseren Städten.

Es gibt keine glaubwürdige Rede von Gott ohne den Blick auf Menschen, die gefoltert und gequält werden. 

Es gibt keine glaubwürdige Rede von Gott ohne den Blick auf Beziehungen, die von Angst, Furcht und Verletzungen geprägt sind.

Manchmal wird die eigene Wohnung zum gefühlten Gefängnis. 

Es gibt keine Ausrede für Gewalt. Viele versuchen ja, eigene Gewalt dadurch zu rechtfertigen, dass auch andere zur Gewalt greifen. Auch die Natur kennt Gewalt und Krieg. Tiere töten. Die Natur tötet. Wir verdrängen die Stimme in uns, die weiß, dass diese Ausrede nicht zählt. 

"Wir werden das Gesicht des Teufels erblicken und ihr werdet euch fragen: Warum wir? Akzeptiert euer Schicksal ohne Beklagen, ohne Gott infrage zu stellen." Das sagte der Vater von Rachel Hanan, als die Familie nach Ausschwitz deportiert wurde. 

Manche brachen nach Ausschwitz mit dieser Gottesvorstellung. Für viele Menschen war es eine Zäsur. 

Gewalt und Leid stellten aber im Verlauf der Jahrtausende immer wieder unsere Vorstellung vom göttlichen Du in Frage. 

Hiob ist der Gerechte, der in einen Abgrund blickt. 

Noah überlebt eine Flut, aber der Untergang so vieler Menschen und Tiere lässt doch viele Fragezeichen aufkommen. 

Jesus verkündet das Reich Gottes und stirbt dann schmachvoll am Kreuz. 

Warum?

Die Eltern von Rachel Hanan wurden in Ausschwitz ermordet, als die Tochter gerade 15 wurde. Rachel Hanan spricht davon, dass sie in ihren ersten 15 Jahren "nur Liebe, Vertrauen, Unterstützung und Geborgenheit" erfahren habe. Diese Basis habe sie gegen den Hass in der Welt imprägniert. 

"Als ich fast 50 Jahre später das erste Mal nach Ausschwitz zurückgekehrt war, habe ich verstanden, dass es nicht mehr um Rache oder Hass gehen darf, sondern dass dies meine Gelegenheit ist, über die Lektion meines Lebens zu sprechen. Über das, was Papa und Mama in mir angesät haben und über die Früchte, die ihre Saat des Vertrauens getragen hat."

Vertrauen in ein Leben, in dem wir Schmerz und Gewalt erleben? Kann das funktionieren? 

Die Jünger sitzen in Jerusalem. Frauen und Männer, die Jesus begleiteten ringen mit der Erfahrung seines grausamen Todes am Kreuz. Es gab auch die nachösterliche  Erfahrung seiner eindeutigen Präsenz. Aber wie sollte davon gesprochen werden? In einer Welt, die weiterhin Schmerz und Leid erfährt. 

Ich ahne, was an Ostern geschah, spüre doch auch ich in bestimmten Augenblicken das bleibende Bewusstsein der verlorenen Geliebten. Doch die Präsenz Jesu war mehr und anders, verwandelt,verklärt und doch körperlich konkret.


In Jerusalem versammeln sich die Frauen und Männer. Der Weg zum Mut und zur offenen Rede wird mit Bildern beschrieben. 

Zunächst kommt ein Sturm, dann Feuer. 

Entscheidend ist: alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt, alle begannen, fremde Sprachen zu sprechen. 

Es ist das Kontrastprogramm zum Turmbau von Babel. Dort redeten alle die gleiche Sprache und wurden sich dann fremd. Nun erleben alle in den unterschiedlichen Sprachen eine gemeinsame Mitte. 

Im Umgang miteinander ist dieses Wissen wichtig: jeder Christ trägt den Heiligen Geist in sich. 

Im Umgang miteinander ist zudem dieses Wissen wichtig: jeder Mensch kann mir zum Boten Gottes werden. 

Im Christentum gibt es kein Herrschaftswissen. Der Mensch, der vorne am Altar steht und predigt hat keinen besseren Kontakt zu Gott als die Alleinerziehende an der Kasse, die nicht mehr an Gott glaubt. 

Der Christ lässt sich daher stets auf die ohnmächtige Begegnung mit der Welt ein. Die fremden Sprachen erzählen von Gott, auch da, wo Gott scheinbar nicht mit seinem Namen genannt werden möchte. 

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