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Das Kind

Der Herrnhuter Stern in der Kirche des Caritas-Pflegeheims in Regensburg. Eine ökumenische Brücke zwischen den alten und neuen Bundesländern
Der Herrnhuter Stern in der Kirche des Caritas-Pflegeheims in Regensburg. Eine ökumenische Brücke zwischen den alten und neuen Bundesländern

Weihnachtsgruß 2024

Laufen. Sprechen. Soziale Interaktion. Kinder entwickeln in den ersten vier Jahren in beeindruckendem Tempo neue Fähigkeiten. Bei manchen Kindern dauert es länger. Eine inklusive Gesellschaft sucht bei Entwicklungsverzögerungen nach Wegen, die Entwicklung zu unterstützen ohne das Kind zu überfordern. 

Im Lauf des Lebens finden wir uns dann immer besser in der Welt zurecht. Wir gewöhnen uns an Menschen und Orte. Wir gewöhnen uns auch an die Möglichkeiten und Grenzen, die uns Gesellschaft und eigener Körper vorgeben. Doch die Welt ist kein Paradies. Kein Ort und kein Mensch bleibt dauerhaft. Auch wir selbst bleiben nicht. 

Manchmal ist bereits der Beginn des Lebens brüchig und bedroht. 

Manchmal reisst uns der Verlust eines Menschen, eines Ortes oder einer Arbeit aus der Gewohnheit. Wir erkennen, dass wir das Bild der Welt falsch zusammengesetzt hatten. 

Bereits das Alte Testament wusste: Du sollst Dir kein Bild machen. Auf dieser Reise durch Raum und Zeit sehen wir nur rätselhafte Umrisse. Erst in der Zeitenstille erkennen wir, schreibt Paulus. 

Doch wir kommen nicht ganz ohne Schubladen aus. Wichtig ist nur zu wissen, meine Schubladen passen vielleicht für mein Leben, aber nicht unbedingt  zu einem anderen Leben. 

Ein Kind liegt in einem Stall. Eine Notlösung. Keine Romantik. Eigentlich hätte Jesus in einer Herberge zur Welt kommen sollen. Da war aber kein Platz. Lukas kritisiert die Herbergsväter nicht. 

Und doch: hätten sie gewusst, wer da geboren wird, wäre bestimmt ein Platz freigemacht worden. 

Doch es gehört zur Idee von Weihnachten, dass hier Gott unerkannt in die Welt kommt. 

Wir sollen in jedem Du mit der Präsenz Gottes rechnen. 

Er kommt in sein Eigentum und die seinen nehmen ihn nicht auf. 

Es ist eine bewusste göttliche Entscheidung. 

Gott findet sich gerade nicht im Palast.

Gott greift nicht in ein Machtgefüge ein, das das besetzte Israel schmerzhaft spürt. 

Trotzdem setzt er einen Impuls, der gerade für Menschen ohne Macht zur Kraftquelle wird.

Der erwachsene Jesus schickt seine Jünger in die Ohnmacht. 

Seine Jünger sollen nicht nach eigener Macht suchen.

Seine Jünger sollen auch nicht nach der Macht für die eigene Gruppe, die eigene Nation oder die eigene Religion suchen. 

Die Jünger sollen sich am Kind orientieren. 

Das Kind ist auf andere angewiesen.

Das Kind ist ohnmächtig. 

Das Kind gewinnt neue Fähigkeit in Reaktion auf eine Wirklichkeit, die ihm vielfach unbekannt ist. 

Während wir gerne die Kontrolle behalten wollen, lässt Jesus die Kontrolle los. 

Er wendet sich Menschen in bedingungsloser Liebe zu, zieht sich aber immer wieder in die Einsamkeit zurück. 

Als das Volk ihn zum König machen will, entzieht er sich. 

Jesus entzieht sich auch der eigenen Familie und sorgt sich doch am Ende um seine Mutter.

Er lässt Menschen los, aber er lässt Menschen nicht fallen. 

Begriffe beschreiben Jesus, erfassen ihn aber nie wirklich. 

Jesus entzieht sich den Fallen und Schubladen, berührt und lässt sich berühren. 

Jesus bleibt auch lernfähig.

So erkennt er im Gespräch mit einer Frau, dass er eben nicht nur zu den Menschen in Israel gesandt ist. 

Jahrhunderte später wird die Sprache der Unterdrückung zur Kirchensprache. Latein war die Sprache der römischen Soldaten, die das Land Jesu besetzt hatten. 

Auch heute sollten wir dem Bösen keine Sprache überlassen. Jede Sprache bietet die Möglichkeit, dem Du in Liebe zu begegnen. 

Messianisch ist Jesus, wo er dem unterdrückten Volk einen Weg zeigt, der einen inneren Frieden ohne Kampf bringt. 

Königlich ist er am Ende da, wo er keine weltliche Macht mehr hat. 

Jesu Leben endet gewaltsam.

Er schickt nicht andere in den Tod, sondern liefert sich selbst der menschlichen Gewalt aus.

Kein hohes Alter. 

Nur wenige Jahre öffentliches Leben. 

Und doch ein erfülltes Leben, in dem er liebt und loslässt... andere und auch sich selbst. 

Im letzten Abendmahl setzt er ein starkes Zeichen. 

In Brot und Wein wird sichtbar, wie Jesus lebt: 

Teilt das Brot! Trinkt den Wein. 

Verinnerlicht, wie ich gelebt habe.

Tut das zu meinem Gedächtnis!

Das bin ich!

Jesus stürzt sich selbst von Thron, um andere in Szene zu setzen. 

Weihnachten ist die Einladung, die Welt neu mit den Augen des Kindes zu sehen. 


Das ist kein naiver Blick. 

Weihnachten ist die Einladung, den anderen dort kraftvoll aufzurichten, wo wir im Vorteil sind.

Weihnachten ist die Einladung, den vertrauten Horizont zu überschreiten und im Fremden den Schatz zu erkennen, den Gott in jedes Herz gelegt hat. 

Weihnachten ist die Einladung, über die eigene Familie und das eigene Land hinauszusehen. 

Weihnachten ist die Einladung, auch den Feind zu lieben.

Tut Gutes denen, die Euch hassen.

Betet für die, die Euch verfolgen. 

Weihnachten ist die Einladung, Gott in der Ohnmacht zu suchen statt bei den Mächtigen. 

Wir tasten uns blind durch die Welt und brauchen uns alle gegenseitig. 

Wir sind Beschenkte und schenken anderen, was wir selbst nicht in die ewige Zeitenstille mitnehmen können. 


Weihnachten kommt nicht in eine perfekte Welt.

Vor 2000 Jahren nicht.

Heute nicht. 

In Magdeburg riss ein Mann Menschen aus dem Leben und brachte Trauer in viele Familien. 

In der Ukraine und in Russland leiden Menschen unter dem Wahn einer machtvollen Gruppe, die die alte Größe Russlands wiederherstellen will und dafür andere in den Tod schickt. 

Kriege und Konflikte zerreissen die Welt. 

Nicht nur Völker kämpfen.

Mitten in Leipzig leben Menschen in Ohnmacht oder Überforderung. 

Migranten und Geflüchtete suchen einen neuen Platz. Alleinerziehende suchen Unterstützung und Hilfe.

Beziehungen, die in Liebe begannen, entwickeln sich zu einem Gefängnis. 

Geschwister werden sich fremd.

Eltern und Kinder leben sprachlos nebeneinander in der gleichen Stadt. 

Manchmal ist es Liebe, getrennte Wege zu gehen. 


In einem Stall wird ein Kind geboren. 

Es braucht kindliches Vertrauen, um in diesem ohnmächtigen Kind den Gott zu erblicken, der uns trägt. 

Doch Gottes Kraft wirkt langfristig gerade im Schwachen besonders kraftvoll. 

Diktatoren gewinnen den Sprint. 

Den Marathon der Jahrhunderte gewinnt die Person, die ihr Vertrauen in das göttliche Du setzt und bedingungslos liebt, weil in jedem Du der göttliche Funken aufscheint. 

Am Ende siegt das Leben!

Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels! *
Denn er hat sein Volk besucht und ihm Erlösung geschaffen;

er hat uns einen starken Retter erweckt *
im Hause seines Knechtes David.

So hat er verheißen von alters her *
durch den Mund seiner heiligen Propheten.

Er hat uns errettet vor unsern Feinden *
und aus der Hand aller, die uns hassen;

er hat das Erbarmen mit den Vätern an uns vollendet †
und an seinen heiligen Bund gedacht, *

an den Eid, den er unserm Vater Abraham geschworen hat;

er hat uns geschenkt, dass wir, aus Feindeshand befreit, †
ihm furchtlos dienen in Heiligkeit und Gerechtigkeit *

vor seinem Angesicht all unsre Tage.

Und du, Kind, wirst Prophet des Höchsten heißen; †
denn du wirst dem Herrn vorangehn *
und ihm den Weg bereiten.

Du wirst sein Volk mit der Erfahrung des Heils beschenken *
in der Vergebung der Sünden.

Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes *
wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe,

um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes, *
und unsre Schritte zu lenken auf den Weg des Friedens.

Gesegnete Weihnachten!

Hauptbahnhof Leipzig
Hauptbahnhof Leipzig

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