Unandächtige Andacht

„Wann ist das vorbei?“ Na toll! Da haben wir nun Weihnachten gefeiert, waren an der Krippe und haben die alte Geschichte von dem Baby gehört, das Gottes Sohn sein soll. Während ich versuche, meinen Sohn zur Rechten zur Ruhe zu bringen, bekomme ich so halb mit, dass ich nun in den Alltag hinausgehen soll, um diese  frohe Botschaft weiterzuerzählen – zu jenen, für die ein Kirchbesuch irgendwie zu Weihnachten gehört, obgleich sie sonst Kirche nicht brauchen oder sich gar über sie ärgern.

Und zu jenen, die in vielfältiger Bedeutung das Fest der Liebe feierten, teilweise schon im November, worüber manche Christen unzufrieden sind.

Nur irgendwie beschleicht mich da doch ein seltsames Unbehagen.

Habe ich  diesen Gott denn tatsächlich schon entdeckt? In einem Baby? – noch dazu in einem Stall zwischen Ochs und Esel? Oder habe ich nur eine uralte Geschichte gefeiert: Es war einmal in Bethlehem – und wenn sie nicht gestorben sind… Erfahre ich Gott als lebendige Wirklichkeit oder vertraue ich den Erfahrungen anderer?

 

Hätte ich denn damals tatsächlich Gott dort in der Krippe gesucht? Oder wäre ich doch eher in den Tempel und in die Synagoge gegangen, so wie ich heute in die Kirche gehe?

Na klar!

Ich hätte die Schriften studiert, ökumenische Lieder verglichen und hätte mich über diesen Wanderprediger geärgert, der mit ungebildeten Fischern durch die Lande zieht. Und ständig streitet er mit den offiziellen Vertretern der Kirche. Wahrscheinlich ärgert er sich, dass er keine Festanstellung bekommen hat.


„Ich war im Gottesdienst, aber Gott hatte keine Lust zu kommen.“, schrieb mir eine Freundin vor vielen Jahren. So geht es mir auch öfters. Da nützt mir alle Theologie nicht – die ich – ach – durchaus studiert mit heißem  Bemühen. Da stehe ich nun…

 

Seht das Lamm Gottes? – nein, tut mir leid, sehe ich gerade nicht!

Manchmal ist das Schreien meines Kindes halt näher als die heilige Handlung am Altar.

Aber stopp! Wo bist DU gewesen, Gott? Im Kind? Kann es dann vielleicht sein, dass DU nicht vorne am Altar, sondern rechts neben mir bist? Und kann es sein, dass DU bereits in den Menschen bist, die von sich sagen, sie seien nicht religiös. Vielleicht sollte ich achtsam hinhören, wenn sie mir von der Liebe erzählen – und von dem, was sie traurig macht. Weil DU etwas in ihr Herz gelegt hast, was DU mir durch sie sagen möchtest? Dann besteht unsere Aufgabe in Leipzig vielleicht nicht im Reden, sondern im Zuhören? Weil Gott schon da ist und darauf wartet durch uns entdeckt zu werden: in der Straßenbahn, am Bahnhof und auch im Internet:-)

Bist DU das, dessen Nähe ich im Alltag so oft vermisse? Hast DU da gerade mit mir gesprochen? Danke, dass DU mich gestört hast.

 

Ernst-Ulrich Kneitschel