Der nachfolgende Text entstand, bevor die neue Propstei in Leipzig gebaut wurde. Ich beteiligte mich damals an der Diskussion zum Pastoralkonzept.
"Was ist das für ein Haus, dass ihr bauen wollt?" (Jes 66,1)
Warum wird eigentlich eine neue Kirche in Leipzig gebaut? Gibt es nicht schon genug Kirchen? Für wen ist das wichtig? Für die Gemeinde? Für Leipzig? Für Gott?
So spricht der HERR: Der Himmel ist mein Stuhl und die Erde meine Fußbank; was ist's denn für ein Haus, das ihr mir bauen wollt, oder welches ist die Stätte, da ich ruhen soll. Meine Hand hat alles gemacht, was da ist, spricht der HERR. Ich sehe aber an den Elenden und der zerbrochenen Geistes ist und der sich fürchtet vor meinem Wort. (Jes 66,1 – 2)
Nein, die Propstei darf weitergebaut werden, es darf auch weiter dafür gespendet werden, aber es scheint mir doch wichtig, die Perspektive ein wenig zurechtzurücken. Denn manchmal hat es den Anschein, als wären bei diesem Bau Fenster, Baumaterial, Altar oder ökologische Ausrichtung das Wichtigste. Und auch alle großen Spendenaufrufe dienen dem toten Stein.
Und deshalb sage ich es nochmal deutlich:
Gott braucht das Gebäude nicht!
Und auch für unser Wirken als Christ ist es nicht entscheidend, wo das Gebäude steht, in dem wir uns versammeln. Wir könnten uns auch wochentags in unseren Wohnzimmern treffen und Sonntags eine ungenutzte evangelische Kirche anmieten. Ja, warum eigentlich nicht?
Wir selbst suchen und brauchen sichtbare Zeichen des Unsichtbaren. Und so wird erklärt, die katholische Kirche müsse sichtbarer in der Stadt sein. Und natürlich mag der neue Bau dazu beitragen. Aber das Gebäude ist nicht entscheidend.
Auf der Suche nach sichtbaren Zeichen des Unsichtbaren müssen wir garnicht so weit gehen:
Wir selbst sind das eigentlich sichtbare Bauwerk. Wir selbst sind in Taufe und Firmung dazu berufen, sichtbare Zeichen Seiner Gegenwart zu sein.
"Wisst ihr nicht, dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euer selbst seid?" (1.Kor. 6,19)
Und um dies zu sein, müssen wir nicht warten, bis eine bundesweite Spendensammlung für uns gestartet wird oder bis wir eine kleine Anstellung im Bistum Dresden-Meißen haben (obwohl das manches erleichtern würde). Wir könnten auch Vieh- und Maulbeerfeigenbaumzüchter sein wie der alttestamentliche Prophet Amos, der betont, dass er nicht im offiziellen Dienst einer religiösen Institution steht. Oder Familienvater auf Stellensuche.
Ganz ohne finanzielle Spende und fern der öffentlichen Aufmerksamkeit sind wir Baumeister des Glaubens:
„Gemäss der Gnade Gottes, die mir gegeben wurde, habe ich als kundiger Baumeister
das Fundament gelegt, ein anderer baut darauf weiter. Jeder aber sehe zu, wie er
darauf weiterbaut (1. Kor 3,1)
Ohne Wettbewerb steht der Architekt bereits fest: Jesus Christus.
Unbemerkt von der Presse wurde der Grundstein gelegt: Jesus Christus.
Kommt zu Jesus Christus als dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar. Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause. (1 Petr 2,4)
Als katholische Gemeinde fangen wir nicht nochmal am Anfang an, sondern wir bauen da weiter, wo andere schon vor uns angefangen haben. Wir reissen auch nicht einfach weg, was uns nicht gefällt, aber wir schauen, welche neuen Fragen Gott im 21. Jahrhundert und in unserer Situation in Leipzig an uns stellt.
Wir müssen auch deshalb nicht neu anfangen, weil Gott bereits in der Welt wirkt.
Gott wartet nicht, er kommt hinein in das Unfertige, Unerlöste und Unvollkommene unserer Welt und unseres Lebens. Seine Wege beginnen unscheinbar wie das Leben des Kindes in der Krippe.
Und sein Wirken ist nicht davon abhängig, ob sein gläubig Volk bereit ist, seinen Auftrag auszuführen oder meint, gerade wichtigeres zu tun zu haben:
„Erinnern Sie sich an den barmherzigen Samariter! Er ist kein Jude. Er ist kein Christ. Wir wissen nichts von seinem Glauben oder von seinem Verhältnis zum Tod. Er ist nur der Nächste seines Nächsten: Er beweist Mitgefühl und Barmherzigkeit. Und ihn, nicht einen Priester oder Leviten, nennt Jesus uns ausdrücklich als Vorbild.“
(André Comte-Sponville Woran glaubt ein Atheist? Spiritualität ohne Gott. 73.)
Jesus Christus wirkt auch ohne, dass Menschen dies erkennen. Und manchmal wirkt er gerade nicht dort, wo Menschen ihn als Gott bekennen. (Matthäus 25,31-46)
Und so ist es sinnvoll, zu prüfen, ob Gott nicht vielleicht gerade dort wirkt, wo seine Existenz abgelehnt wird.
„Einer meiner prinzipiellen Gründe, nicht an Gott zu glauben, ist, dass ich keine entsprechenden Erfahrungen habe. Das ist das einfachste Argument. Und eines der stärksten. Keiner wird mich von der Vorstellung abbringen, dass Gott, so es ihn denn gäbe, sichtbarer, fühlbarer wäre.“ (Comte-Sponville)
Leipzig ist nicht ohne Gott. Viele hier haben Erfahrungen gemacht, die sie nicht mit dem Begriff Gott verbinden wollen, die aber dennoch auf Gott hindeuten. Leipzig ist ein Ort, an dem Gott im leisen Säuseln des Windes sichtbar wird.
Gerade deshalb bleibt das Wirken jener in Leipzig wichtig, die erfahren haben, dass es diesen Gott gibt:
Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Töchter und Söhne Gottes. (Röm 8,19)
Es gibt eine große Sehnsucht danach, dass Menschen, Gottes Liebe in der Welt sichtbarer und fühlbarer machen. Das kann die neue Propstei als Gebäude nicht leisten.
Grundlage unseres Handelns ist, dass wir fähig werden, das weiterzugeben, was wir selbst erfahren haben:
„Fast könnte es scheinen, als werde unsere Welt auch darum so gott-los, weil wir einander verschweigen, was uns am Rande unserer täglichen Erfahrung begegnet.“ ( Jörg Zink)
Welche Erfahrungen machen wir selbst? Wo sehen wir den himmlischen Baumeister bereits am Werk? In uns? In anderen? In Nichtchristen?
Die Erfahrung Gottes ermutigt zum Handeln.
Sprachfähig werden bedeutet auch hinhören auf Erfahrungen anderer, auch und gerade der Ungläubigen, denn auch da kommt Gott unserem Handeln zuvor.
Vorbild ist Paulus auf dem Areopag, dem Marktplatz zu Athen.
Zuerst ist er empört über Götzenbilder, die er beim Rundgang in Athen entdeckt, dann aber schaut er genauer hin. Er entdeckt das Wirken Gottes, an dem er anknüpft:
"Ihr Männer von Athen! Ich sehe, dass es euch mit der Religion sehr ernst ist. Ich bin durch eure Stadt gegangen und habe mir eure heiligen Stätten angesehen. Dabei habe ich auch einen Altar entdeckt mit der Inschrift: 'Für einen unbekannten Gott'. Was ihr da verehrt, ohne es zu kennen, das mache ich euch bekannt.“ Apg 17,16–3
Paulus deutet den Glauben der Athener im Licht der Grunderfahrungen, wie sie in der Bibel niedergelegt und in der Tradition gedeutet ist.
Verurteilen führt in die Sackgasse, Unkraut jäten auch. Den glimmenden Docht löschen und das geknickte Rohr brechen ist unklug.
Schimpfen über Kirche, Staat, andere Religionen oder Nachbarn hilft nicht.
Im kleinen Alltag umsetzen, was wir von Gottes Wort verstanden haben: das hilft uns und der Welt!
Das ist unsere Aufgabe: erkennen, wo wir uns selbst als lebendige Bausteine in das Gebäude einfügen sollen, dass Gott in Leipzig unter uns aufrichtet.
Ernst-Ulrich Kneitschel