Das Internet kann entfremden. Es kann aber auch mit dem Fremden vertraut machen.
Das Internet kann Vorurteile zementieren. Es kann aber auch unser Urteilen fundierter machen.
Das Internet kann ablenken vom Alltag und dazu beitragen, Familie und Freunde aus dem Blick zu verlieren. Es kann aber auch die Perspektive des eigenen sozialen Umfelds bereichern und hilfreich korrigieren.
Das Internet kann? Nein, es sind Menschen, die mit Worten, Bildern und Tönen dazu beitragen, scheinbar unüberwindliche Grenzen zwischen Menschen zu überwinden oder neue zu errichten. Das Internet ist eine Wolke von Zeugen, die ihre Erfahrungen und Erlebnisse, Hoffnungen, Ängste, Befürchtungen teilen und dem Urteil anderer aussetzen.
Urteilen…das ist die breite Autobahn, auf der wir Menschen gerne rasen. Wir machen uns ein Bild von anderen Menschen, Kulturen, Religionen.
Das geht im Internet scheinbar leichter…und ist doch gefährlicher als in der Realität. Soziale Netzwerke sind ein Marktplatz der Gedanken. Urteile sind Schubladen, um Ordnung in das scheinbare Chaos zu bringen. Das erleichtert das gedankliche Reisegepäck auf unserem Weg durch das Leben. Wir können nicht wirklich offen auf alle 7 Milliarden Menschen zugehen. Wir können nicht die ganze Welt umarmen. Wir haben genug damit zu tun, denen gerecht zu werden, die zu unserer Familie, unserem Freundeskreis und unserem Arbeitsplatz gehören.
Die Schubladen zu öffnen und alles im Raum auf den Boden zu werfen, führt – zunächst – zum Chaos. Aber auch dazu Teile neu zu sortieren und eine neue sinnvollere Ordnung aufzurichten.
Das Internet ist zunächst einmal ein Ort des Chaos. Wie gelingt es, wirklich dem anderen zu begegnen und nicht nur dem Bild, das man sich vom anderen macht. Gelingt es dem Europäer sich einzufühlen in die Gedanken- und Lebenswelt einer Iranerin? Prägt die Vorstellung fremder Religionen und Sitten den Dialog mit dem anderen? Gelingt es, wirklich mit dem Herzen zu lesen, wenn der andere von dem schreibt, was seinem Alltag Farbe verleit, was den anderen einmalig macht?
Das Internet ermöglicht einen direkteren Kontakt mit Menschen anderer Kulturen als eine organisierte Reise. Das Internet ermöglicht ein erstes Herantasten an Menschen aus der eigenen Stadt, denen man in der Anonymität von Straßenbahnen und Plätzen aus Sorge ausweicht.
Man tastet sich mit Worten voran, entdeckt Schnittstellen, an die man zunächst nicht gedacht hat…zugleich vermögen die geschriebenen Worte und geposteten Videos und Bilder Gräben zu vertiefen, die beitragen können, den anderen und sich selbst in einen Abgrund zu stürzen.
Um so wichtiger ist, immer wieder innezuhalten und zu überlegen, was man da in den öffentlichen Raum hineinschreibt. Vielleicht sollte man öfters die Gedanken überschlafen. Das könnte der Qualität des geschriebenen Wortes nutzen...
E.-U.K.