Das Paradies meiner Kindheit ist verschlossen. Kein Engel mit Flammenschwert verhindert den Zutritt, sondern ein einfaches Schild: "Hafengebiet. Zutritt Unbefugten verboten!" Nun gut. Das Schild hat mich noch nie gehindert, mit großer Selbstverständlichkeit bis zur Äußeren Wiener Straße 26 zu fahren. Hier müsste es stehen: das Haus meiner Kindheit. Eine Betriebswohnung. Mein Vater lebte mit seiner Familie am Arbeitsplatz. Im zweiten Stock war die Wohnung. Im ersten Stock befanden sich Büros und eine kleine Kantine mit Getränkeautomat. Im Erdgeschoß Waschräume für die Arbeiter des Kraftfutterwerkes und eine Werkstatt.
Seit 1963 lebte hier die Familie des Betriebsleiters eines kleinen mittelfränkischen Kraftfutterwerkes, das hier ganz neu ein Zweigwerk hatte. Neben dem Haus kultivierte meine Mutter liebevoll einen Garten mit Bäumen, Sträuchen, einer Wiese, Obst und Gemüse. Katzen streiften über das Gelände, aufgeschreckt von Lastwägen. Der Geruch von Braunkohle, Öl und Abgasen der Laster lag in der Luft und vermischte sich mit den Geräuschen der Kräne und der Maschinen im Werk. Am Wochenende wandelte sich das Bild. Nun dominierte das leise Rauschen von Wind und Donau sowie der Duft der Blumen im Garten. Schmetterlinge spielten im Wind, Ein Kater fauchte. Eine Maus brachte sich schnell in Sicherheit. Vögel zwitscherten. Besonders die Sonnenblumen wuchsen gut hier. Der Staub der Futtermittelsäcke war perfekter Dünger.
Irgendwann hatten meine älteren Geschwister für mich ein Baumhaus zwischen Weide und Birke gebastelt, gezimmert aus den Paletten, auf denen sonst Futtermittel gestapelt wurden. Am Wochenende gehörte der Hafen uns. Niemand sonst wohnte hier, zumindest nicht am Nordkai des Osthafens. Im Hafenbecken lagen Schiffe aus Ungarn und Jugoslawien. Die Schiffer blieben unter sich. Der Ostblock war nah und doch unerreichbar.
Nur die mutigsten Familien ließen ihre Kinder zu uns in den Hafen, fern der Zivilisation. Wer kam, betrachtete den wilden Charme des Industriegebietes mit Neugier und Entdeckerdrang, aber auch ängstlich, Ungefährlich war es nicht. Kräne, Silos, Hafenbecken, Gleisanlagen verlockten zum Spielen, doch Gefahren lauerten überall. Ich spielte sorglos, doch mancher Gast schätzte die Gefahren falsch ein. Passiert ist nie etwas, aber mancher Besucher kletterte allzu sorglos auf Maschinen und Leitern bis zur letzten Strebe beeindruckender Kräne.
Hier müsste das Haus stehen. Und unter der Betonfläche wäre der Garten. Das Paradies ist weg. Das kommt davon, wenn man das eigene Geburtshaus nicht rechtszeitig unter Denkmalschutz stellen lässt. Um hier zu nächtigen, müsste man schon mit einem Wohnwagen kommen. Das Haus und der Garten wurden abgerissen, die Fläche ist zu wertvoll für nostalgische Orte mit Büschen und Bäumen. Und doch überkommt mich immer wieder ein kindliches Vergnügen, das Verbotsschild am Eingang zum Hafen zu ignorieren. Mein kindliches Ich würde mich sonst sehr verständnislos anschauen.