Der Schmetterling: Warum eigentlich?

inspiriert durch ein Bild von Dr. Mona Clerico

Warum eigentlich, fragte mich Martina einst im Leipziger Schmetterlingshaus, warum sind Schmetterlinge ein Symbol der Auferstehung? Die Raupe lebt, dann frisst sie viel. Kennen wir alle von der kleinen Raupe Nimmersatt. Dann ist sie tot. Nicht biologisch. Aber für den Beobachter. Wie Bäume im Winter. Scheinbar totes Holz. Oder roter Boden am Mars. Man weiß nicht, ob da was lebt.

 

Und dann wird die Raupe zum Schmetterling. Hübsch anzusehen, wie eine Frau in der Blüte ihrer Jugend (Martina rollt mit den Augen) im weinroten Kleid (sie lächelt). Aber extrem kurzlebig.  Broken Perfection. Sie schauen perfekt aus, paaren sich, sterben. Zerfall. Wie der menschliche Körper im Grab. Zerfall. Chemische Prozesse. Entgültig. Unumkehrbar. Gnadenlos und doch wahrheitsgemäß beschrieben von dem norwegischen Autor  Karl Ove Knausgard ( geboren 1968) im ersten Teil seiner Biographie mit dem Titel Sterben. Sein zweiter Band trägt den Titel Lieben. Warum eigentlich?

 

Warum eigentlich sind Schmetterlinge ein Bild der Auferstehung?

So gesehen, weiß ich es nicht. Es ist ein Bild im Hinterkopf der Theologen, nicht der Biologen. Zum Bild gewordene Erfahrung, nicht Gesetzbuch der Natur. Wegen seiner Metamorphose ist der Schmetterling bereits in der frühchristlichen Kunst zu einem österlichen Symbol für die Auferstehung Christi geworden, schreibt dazu die Katholische Jugendfürsorge im Bistum Regensburg.

 

Im Kopf einer lebensgroßen Christusfigur in der Regensburger Schottenkirche fand sich bei Renovierungen ein Hohlraum. Martina kennt die Figur. Wir  standen auch dort. In der Kirche des Priesterseminars, das ich lange schon verlassen hatte, bevor sie in mein Leben trat.

Im hölzernen Kopf verborgen war ein kleiner Schmetterling.  5 Zentimeter klein. Aus vergoldetem Silber. Auf seinen Flügeln gemalt der gekreuzigte Jesus,  von dem die Christen sagen und von dem auch ich glaube, er sei gestorben und am dritten Tag verwandelt auferstanden. So verändert, dass ihn die Frauen für den Gärtner hielten. Noli me tangere! Berühre mich nicht, soll er gesagt haben. Klar, denke ich mir in Zeiten von Corona. Oder geht es um die Zerbrechlichkeit der Erscheinung? Real, aber flüchtig? Nicht wiederholbar. Wie die ersten Begegnungen mit einem Menschen, den man festhalten möchte und doch immer neu freigibt. In schüchterner Liebe. In einem Garten oder am Alten Kranen in Würzburg. 

 

Drei Monate nach ihrem Tod träume ich von meiner Frau. Im Wohnzimmer sitzt sie.  Wie immer. Und es ist mir im Traum bewusst, dass sie an jenem 7. Januar abends gestorben ist. Ich an ihrem Bett. Und dazu ein Abschiedslied von Grönemeyer. Kann kaum noch glauben. Gefühle haben sich gedreht.

Nun also, Wochen später, sitzt sie da am Ort, den wir uns aufgebaut hatten. Wo uns wohl ist. Eine flüchtige Erscheinung. Begegnung. Berührung. Ewigkeit trifft Zeit.

 

Wir küssten uns sanft. Ich erwache. Ihr Geruch im Raum. Der Kuss spürbar.

 

Ich stehe auf. Gehe zum Wohnzimmer. Der Platz leer. Logisch. Ich trete auf den Balkon. Ein warmer Frühlingsmorgen im Jahr der Epidemie, die alles zum  Stehen brachte. Wie in einem Kokon. Die Korona der Sonne strahlt am wolkenlosen Himmel. Ein Schmetterling schwebt ins ewige Blau. Warum eigentlich nicht?

 

Text: Ernst-Ulrich Kneitschel

Bild: Dr. Mona Clerico